Rp-Serie Duisburger Geschichte Und Geschichten "Langer Kerl" gewaltsam verschleppt

Duisburg · Nach der Entführung eines Duisburger Studenten am 11. Januar 1733 kam es zu Tumulten.

Die Demonstranten zogen durch die Straßen von Duisburg. In Sprechchören skandierten sie: "Ende der Menschenjagd" und "keine Wehrpflicht". Aus Sicht der Obrigkeit ein ungeheuerlicher Vorgang. Ein "heftiger und dabei gefährlicher Tumult von Studenten" entbrannte am 11. Januar 1733. Auslöser war die gewaltsame Verschleppung eines Kommilitonen - genannt der "Duisburger Riese". Der war in seiner Wohnung auf der Beekstraße überfallen, verprügelt, gefangen genommen und nach Wesel verschleppt worden, um zwangsweise für die königliche Garde der "Langen Kerls" rekrutiert zu werden.

Die Folge war, dass die Duisburger Studenten "gleichsam in höchstem Feuer alle Gassen, Ecken und Winkel der Stadt durchstrichen, die Fensterläden, Gläser und andere Werke an den Häusern verschiedener Professoren auf eine frevelhafte und unbesonnene Weise zerschlugen", so der Berichterstatter August Christian Borheck.

Die studentische Wut richtete sich insbesondere gegen die Professoren, weil sie die entsprechende Kabinettsorder zur Wehrpflicht kannten, aber geheim gehalten hatten. Tatsächlich konnten nunmehr Studenten eingezogen werden. Die rigorose Methode der "Anwerber" und der Verlust des Privilegs der Wehrdienstbefreiung steigerte die Empörung der Studenten. Die Proteste ließen auch am folgenden Tag nicht nach.

Die Professoren befanden sich in einem Dilemma. Eine Kabinettsorder zu ignorieren war undenkbar; andererseits befürchteten sie durch den Vorfall eine Abwanderung der Studenten. Es gab verzweifelte Versuche, einen Dialog zwischen Universität und rebellischen Studenten zu vermitteln.

Hektische Rücksprachen mit Oberstleutnant von Quadt in Wesel folgten. Der berief sich auf den Auftrag Friedrich I. zur Anwerbung "Langer Kerls", die den Professoren ja zugestellt worden sei. Die Studenten bezogen sich dagegen auf den eigenen Stand und die eigene Gerichtsbarkeit der Universität. Die Universitätsleitung teilte den Studentenvertretern beschwichtigend mit, dass mit Hochdruck an einer Lösung der Krise gearbeitet wird. Die vage Zusage, die bisher geheim gehaltene Verfügung zu überarbeiten, verhinderte zweifellos eine blutige Kraftprobe. "Später wurde die Verfügung so aufgeweicht, dass sie überwiegend die untere Bevölkerungsschicht traf", so Gernot Born. Vereinbarungen zu Lasten Dritter haben ja durchaus Tradition.

Und wie erging es dem verschleppten Duisburger Studenten? In der Wesel musste er Tag für Tag exerzieren und bis zur Erschöpfung marschieren. Grausame Prügelstrafen und Spießrutenlaufen waren bei kleinsten Vergehen üblich. Flucht aussichtslos. Nach der Grundausbildung in Wesel hieß es: Auf nach Potsdam zur Riesengarde. Als der hochgewachsene Ex-Student unter strenger Bewachung in Potsdam ankam, fand er sich in einem Regiment von lauter "Langen Kerls" aus ganz Europa wieder. Der preußische Drill zeigte ähnliche Wirkung wie das "Stockholm-Syndrom". "Der ständige Druck führte dazu, dass der junge Mann eine positive Beziehung zu seiner Militärkarriere entwickelte", so die Experten-Bewertung aus heutiger Sicht. Der "Duisburger Riese" sah sich mehr und mehr als Mitglied einer elitären Gemeinschaft. Tatsächlich verbreitete die Zugehörigkeit zur königlichen Leibgarde einen gewissen Glanz. Die Soldaten - 3481 im Stellenplan des Jahres 1739 - mussten eine Mindestgröße von 1,88 Meter (sechs Fuß) aufweisen.

Für ihre Rekrutierung in halb Europa scheute der ansonsten extrem sparsame Soldatenkönig vor keiner Geldausgabe zurück. Er zahlte regelrechte Handgelder wie heute im Profisport, je länger der Kerl, desto teurer, 7161 Taler betrug die Rekordsumme für den 2,17 Meter großen James Kirkland, ein Ire. Teilweise entwickelte die Marotte des Soldatenkönigs bizarre Züge eines Tauschhandels. Das berühmte "Bernsteinzimmer" hatte Friedrich der I. Jahre zuvor dem Zar - Peter der Große - überlassen. Im Geschenkaustausch sandte der Zar dem König zum Dank 55 Soldaten - alle über zwei Meter groß. Da war der "Duisburger Riese" eher ein preiswertes Schnäppchen.

Ob die kostspielige Haltung der "Langen Kerls" nur Ausdruck der militärischen Staatsräson war oder eine Marotte, ist bis heute umstritten. Wer zehn bis zwölf Jahre seinen Dienst versah, wurde belohnt. Der Preußenkönig ließ seinen Grenadieren spezielle Häuser in Potsdam erbauen, die noch heute im dortigen "Holländischen Viertel" zu sehen sind. Ob der "Duisburger Riese" in den Genuss der Belohnung kam, kann heute nicht mehr geklärt werden. Die Spuren sind verblasst. Was blieb: Ein Soldatenkönig, der keinerlei Engagement für die Förderung der Duisburger Universität zeigte und eine frustrierte Studentenschaft. Mit dem Rückgang der Studentenzahl begann der allmähliche Niedergang der Alten Universität.

Quellen: Die Alte Universität Duisburg, Gernot Born / Frank Kopatschek und Helmut Schrey: Die Universität Duisburg, Geschichte und Gegenwart

(RP)
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