Rp-Serie 60 Jahre Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Jeden Tag am Bein geschraubt

Duisburg · Radenko Stevic hat bei einem Motorradunfall fast sein Bein verloren. Mit einer vom russischen Arzt Gavril Ilizarov entwickelten Methode konnte ein 23 Zentimeter langes fehlendes Knochenstück nach und nach ersetzt werden.

 Radenko Stevic hatte nach seinem schweren Motorradunfall großes Glück: Die Mediziner um Dr. Martin Glombitza konnten sein Bein wieder aufbauen und so eine Amputation vermeiden.

Radenko Stevic hatte nach seinem schweren Motorradunfall großes Glück: Die Mediziner um Dr. Martin Glombitza konnten sein Bein wieder aufbauen und so eine Amputation vermeiden.

Foto: Christoph Reichwein

Der Unglückstag war der 2. Juni 2013. Damals fuhr Radenko Stevic (heute 34) mit seinem großen Motorrad "eigentlich ziemlich langsam" eine Kurve am Breitscheider Kreuz. Dabei übersah er den "Schmodder", der nach einem kurz zuvor geschehenen Unfall auf der Straße lag. Die Fahrbahn war dadurch so glatt, dass der routinierte Motorradfahrer, der schon mal auf dem Nürburgring auf seinem Motorrad mit 300 Sachen unterwegs war, die Kontrolle über seine Maschine verlor. Er geriet unter die Leitplanken. Doch viel schlimmer als dieser Sturz war, dass das schwere Motorrad (200 PS-Motor!) auf ihn krachte. Die Folge war grauenhaft: Mehrfache offene Knochenbrüche und Gefäßzerreißungen. Ein Knochenstück von sieben Zentimeter Länge lag meterweit von Stevic entfernt auf der Straße. "Ich habe nicht das Bewusstsein verloren, und ich hatte wahnsinnige Schmerzen", berichtet Stevic, dem man glaubt, dass er nicht wehleidig ist.

Glück im Unglück war, dass ein Motorradkumpel von Stevic auf einer anderen Maschine hinterherfuhr und sofort über Handy den Notarzt herbeitelefonierte und dabei auch die ernste Situation klarmachte. Stevic bekam noch mit, dass ein Rettungshubschrauber landete. Dann bekam er vom Notarzt eine Spritze und wachte erst viel später in der Buchholzer Unfallklinik auf. Von seiner Erstversorgung im Schockraum der BGU und vom raschen Handeln der Ärzte bekam er nichts mit.

Die Mediziner hatten angesichts der Schwere der Verletzungen nicht viel Zeit für eine folgenreiche Entscheidung: Müssen wir das Bein amputieren oder gibt es noch eine Chance, es zu erhalten? Wäre Radenko Stevic an einem anderen Ort verunglückt und in einem weniger hochspezialisierten Krankenhaus eingeliefert worden, wäre sein Bein vermutlich amputiert worden - als einzige Chance, das Leben des Unfallopfers zu retten. Im Buchholzer Unfallkrankenhaus sah das Ärzteteam aber, trotz freiliegender Knochen, abgerissener Gefäße und eines großen fehlenden Knochenstücks, eine Möglichkeit, die Amputation zu vermeiden. Dabei hat Dr. Martin Glombitza als Leitender Arzt mit dem Schwerpunkt Septische Chirurgie einen wichtigen Part. Er setzte alles daran, mit den modernsten Methoden Infektionen zu behandeln, die im Extremfall tödlich sein können. Es stellte sich heraus, dass neben dem herausgebrochenen Knochenstück noch weitere Knochenteile unrettbar verloren waren. Insgesamt fehlte schließlich am Bein ein Knochenstück von 23 Zentimeter Länge. Kaum zu glauben, dass so ein großes Teil wieder "nachgezogen" werden kann. Dr. Glombitza muss ein wenig lächeln, wenn man ihn fragt, ob er sein Handwerk in Science-Fiction-Romanen gelernt habe. Neu ist die Methode, mit der Stevics Bein gerettet wurde, nicht. Sie wurde von dem russischen Arzt Gavril Ilizarov (1921 bis 1992) entwickelt und mittlerweile optimiert. Sie besteht darin, einen Knochen mit Hilfe eines Fixateurs, bei dem Pins im Knochen verankert werden, zu transportieren. Das erfordert Geduld und auch das Mitwirken des Patienten. Als Radenko Stevic nach drei Monaten das Krankenhaus verließ, war an seinem Bein ein solcher Ringfixateur zum "Segmenttransport" befestigt worden. Stevic musste Tag für Tag alle acht Stunden vier Muttern und vier Kontermuttern an diesem Fixateur ein kleines Stückchen drehen. Auf diese Weise wurden die Knochen monatlich millimeterweise "verlängert". Nach mehr als zwei Jahren war auf diese Weise das fehlende Knochenteil an Stevics Bein wieder neu entstanden.

Heute kann Stevic mit Humor davon erzählen, dass er zum Erstaunen von anderen auf Partys einen Zehnerschlüssel aus der Tasche zog, sein Hosenbein aufkrempelte und an den Muttern an seinem Bein herumschraubte. "Damit hatte ich kein Problem, schließlich bin ich gelernter Fahrzeug-Elektriker", erzählt der gebürtige Essener mit serbischen Familienwurzeln.

Heute kann Stevic zwei Kilometer ohne Gehhilfe laufen und 50 Kilometer Fahrradfahren. Aufs Motorradfahren verzichtet er aber: "Die Ärzte und Physiotherapeuten haben sich so viel Mühe gegeben und mich wieder zusammengeflickt: da will ich kein Risiko mehr eingehen", sagt er lachend. Er fährt jetzt einen schnieken Mercedes-Oldtimer. Im Herbst will er wieder an seine erfolgreiche Berufstätigkeit anknüpfen; er war selbstständig und leitete eine kleine Firma. Zuvor möchte er aber noch mit seiner Frau, die er vor drei Monaten geheiratet hat, in Urlaub fahren. Wenn alles weiterhin komplikationslos verläuft, braucht er keine Medikamente mehr und muss nur noch einmal jährlich zur Kontrolle ins Krankenhaus.

(pk)
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