Duisburg Iris Radisch und ihre Lebensabendgespräche

Duisburg · Die Journalistin las in der ausverkauften Zentralbibliothek aus ihrem Buch "Die letzten Dinge".

 Iris Radisch

Iris Radisch

Foto: Mönter

Seit einem Vierteljahrhundert führt die Literaturwissenschaftlerin und Kulturjournalistin Iris Radisch, Jahrgang 1959, Interviews mit alten Schriftstellern. Oft ist es das letzte Gespräch vor deren Tod. Jetzt las sie in der ausverkauften Zentralbibliothek für den Verein für Literatur und Kunst aus ihrem jüngsten Buch "Die letzten Dinge", in dem sie diese Gespräche zusammengefasst hat.

Genauer gesagt war das weniger eine Lesung als vielmehr ein munteres Geplauder mit dem Moderator Wolfgang Schwarzer. Zum einen, weil man Interviews nicht so gut vorlesen kann, zum anderen weil so immer neue Querverbindungen sichtbar werden. Iris Radischs erster Versuch mit Nathalie Sarraute ging gründlich daneben, weil sie sich zu wissenschaftlich darauf vorbereitet hatte. Erst das zweite Gespräch mit dem damals 90-jährigen Julien Green lief dann so gut, weil persönlich, dass dieser es sogar in seinem legendären Tagebuch erwähnte. Die Schriftsteller des 20. Jahrhunderts waren alle mehr oder weniger von dessen dramatischem Verlauf betroffen. Einige direkt: Günter Grass musste im Alter zugeben, dass er mit 17 Jahren in die Waffen-SS eingetreten war, Martin Walser geißelte in seiner berüchtigten Friedenspreis-Rede die "Auschwitz-Keule", einige waren selbst in Auschwitz wie Imre Kértész oder Ruth Klüger. Einige indirekt wie Amos Oz: Seine intellektuellen Eltern wanderten aus Europa nach Israel aus, von den neun europäischen Sprachen die sie beherrschten brachten sie ihrem Sohn keine einzige bei, sie bauten Israel mit Landarbeit auf, doch der Sohn wurde selbst Schriftsteller. Expertin ist Iris Radisch vor allem für Marcel Reich-Ranicki, der sie einst in seine Fernsehsendung "Das literarische Quartett" holte. Auf Schwarzers Frage, ob dieser posiert habe, antwortet Radisch: "Nein, ich glaube nicht. Er rief oft an, auch zu nachtschlafender Zeit, und er war immer gleich."

Konkrete Lebenshilfe ist von diesem Buch nicht zu erwarten. In den Gesprächen ergaben sich immer wieder prägnante Formulierungen, etwa wenn Friederike Mayröcker das (Schriftsteller-)Leben als "einzigen langen Augenblick" beschrieb oder Sarah Kiresch meinte: "Man sollte leben wie ein Gedicht." Diese Zitate könne man aber nicht "wie Kalendersprüche aus dem Zusammenhang reißen", betonte Radisch. Das Publikum war selig.

(hod)
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