Duisburg Ingrid Lausunds ganz normaler Neurotiker

Duisburg · Anderthalb Stunden läuft ein Mann pausenlos über die Bühne. Er muss spätestens dann erkennen, wie fremdbestimmt er ist und wir alle sind ("Wer hat mir DAS denn angezogen?"), wenn er Widerstand leisten will und von einer unsichtbaren Macht unsanft weitergeschoben wird. "Der Weg zum Glück" heißt das Solostück der 1965 geborenen und nicht nur in Duisburg bereits bestens bewährten Autorin Ingrid Lausund.

 Enorme schauspielerische und physische Leistung: Jonas Schütte.

Enorme schauspielerische und physische Leistung: Jonas Schütte.

Foto: m. langela

Vor fünf Jahren war dieses Werk bereits im Rahmen der Mercator-Akzente "Vom Suchen und Finden" im Großen Saal im Theater zu erleben, damals als Gastspiel vom Deutschen Theater Berlin mit Bernd Moss (die RP berichtete). Jetzt zeigte der junge Schauspieler Jonas Schütte, der hier zur Zeit auch als Clov in Samuel Becketts "Endspiel" brilliert (die RP berichtete ebenfalls), beim Theatertreffen der aktuellen Akzente "Umbrüche" im ausverkauften Foyer III unterm Dach des Hauses seine Version. Er gibt den liebenswürdigen Leerläufer als ganz normalen Neurotiker, als verzweifelten Single und sarkastischen Beobachter. Auch die Agnetha-Methode ("Dancing Queen") und das Witze-Erzählen sind keine Lösung, eine widerwillig besuchte Sommerparty wird zu einem entsetzlichen Desaster. Selbst der vorübergehende Versuch, "die kleine Reflexionsmaschine im Kopf" auszuschalten und zu einem "unreflektierten, glücklichen Bauchmenschen", einem "Vitalvieh" zu mutieren, endet im Chaos, da "der Neue" komplett die Macht übernimmt und keine Grenzen mehr kennt. Wie das dröhnende Alter ego allen versichert, sie machten "einen guten Job" - auch den Sicherheitsleuten, die ihn überall hinauswerfen, sogar vom Friedhof - das erinnert erschreckend an den neuen US-Präsidenten. Schütte trifft sehr schön Lausunds Montage der hohlen und pseudopsychologischen Versatzstücke unserer Alltagssprache, nach dem Motto "Ich denke mal, das ist auf einem guten Weg", ihre typische Mischung aus Kabarett und Performance, aus existenzieller Tiefe und perfekten Pointen.

Das Publikum bewunderte alleine schon die enorme physische Leistung, lauschte gebannt dem klugen und jeden einzelnen ansprechenden Text. Wie genau zugehört wurde, zeigt zum Beispiel eine Publikumsreaktion. Der Wanderer wider Willen war gerade bei seiner Panik, die nach diversen Attacken und gemeinsamen "Amüsements" am Abend "Gute Nacht" zu ihm sagt - da meinte ein Besucher ganz trocken: "Die muss auch früh raus."

In der nächsten Spielzeit soll diese Produktion wiederkommen, der Besuch lohnt sich.

(hod)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort