Hochzeitsmeile in Marxloh Der türkische Traum aus Tüll

Duisburg · Eine ganze Straße voller Brautmodengeschäfte – diese märchenhafte Einkaufsmeile gibt es ausgerechnet im Duisburger Problemstadtteil Marxloh. Das Geschäft mit der Hochzeitsmode boomt, nur die deutschen Kunden fehlen. Das soll sich jetzt ändern.

Die Hochzeitsmeile in Duisburg
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Foto: Christoph Reichwein

Eine ganze Straße voller Brautmodengeschäfte — diese märchenhafte Einkaufsmeile gibt es ausgerechnet im Duisburger Problemstadtteil Marxloh. Das Geschäft mit der Hochzeitsmode boomt, nur die deutschen Kunden fehlen. Das soll sich jetzt ändern.

Die Schiebetüren öffnen sich geräuschlos. Dahinter stehen schwarze Schaufensterpuppen mit Hochzeitskleidern in blendendem Weiß. Alle im gleichen Stil, obenrum enge Korsagen, untenrum üppiger Tüll. Der Rock ist so ausladend, dass die Braut am Hochzeitstag nicht mehr alleine auf die Toilette gehen können wird. In der Mitte des Raums ein drei Meter breiter Laufsteg, alle paar Meter hängen an den Wänden ovale Spiegel mit Efeu-Blumenranken aus Plastik, links und rechts vom Laufsteg aubergine-farbene Polstermöbel. Der Brautmodenladen von Hatice Kök auf der Kaiser-Friedrich-Straße in Duisburg-Marxloh ist ein Palast, die Bräute sind die Prinzessinnen.

Marxloh: Das ist für alle, die dort nicht leben oder arbeiten, die No-go-Area. Die Polizei patrouilliert hier mit Einsatzhundertschaften, um im Einflussgebiet von Rockerbanden und libanesischen Großfamilien die Oberhand zu behalten. Kriminell, überfremdet und abgehängt, das ist das Image von Marxloh — nachts ist es gefährlich, doch tagsüber herrscht auf der Weseler Straße Betriebsamkeit. Hier reihen sich Juweliere, Restaurants, Schuhläden und Brautmodengeschäfte aneinander.

Hochzeitsmeile ist eigentlich eine Hochzeitskreuzung

Dabei ist "Hochzeitsmeile" eigentlich ein irreführender Begriff. Geographisch betrachtet handelt es sich um eine Kreuzung. Am Pollmann-Kreuz treffen sich die Weseler Straße, die Kaiser-Wilhelm- und die Kaiser-Friedrich-Straße, hier schlägt das Herz der Meile.

Und die ist ein Phänomen in dreifacher Hinsicht: Knapp die Hälfte aller Läden verkauft Braut- und Abendmode für Damen, und fast alle Ladeninhaber sind türkischstämmig. Außerdem sind die meisten Läden inhabergeführte Geschäfte. Und das, obwohl der inhabergeführte Einzelhandel anderswo in Deutschland ausstirbt. Auf der Weseler Straße und in ihrer direkten Umgebung hingegen gibt es kaum noch ein leeres Ladenlokal. Die Unternehmer investieren in den Standort.

Sie stören sich nicht am Image des Schmuddel-Stadtteils. Laut einer Erhebung der städtischen Entwicklungsgesellschaft Duisburg (EG Duisburg) aus dem Jahr 2011 betrachten 46 Prozent der Einzelhändler den Standort Marxloh als Vorteil, nur zehn Prozent sehen den schlechten Ruf des Viertels als Nachteil. Das liege daran, dass Marxloh vor allem bei der deutschstämmigen Bevölkerung als sozialer Brennpunkt gilt. "Die türkischstämmige Gemeinschaft beteiligt sich nicht an dieser Diskussion", sagt Ercan Idik von der EG Duisburg. Die überwiegend türkisch- und arabischstämmige Kundschaft kommt gerne her. 70 Prozent der Käufer sind nicht aus Duisburg.

Deutsche Kundschaft ist hingegen rar. Zwei Drittel der Käufer sind türkischstämmig, sechs Prozent arabischstämmig. Nur 17 Prozent der Kundschaft haben keinen Migrationshintergrund. Hier sehen türkische Unternehmer wie Hatice Kök Potenzial. "Ich habe mit türkischen Kundinnen angefangen", erzählt die 46-Jährige. "Mittlerweile habe ich aber auch viele europäische Kundinnen aus den Niederlanden, der Schweiz, Norwegen, Finnland und Großbritannien." Sie hat geschafft, was andere auch wollen. Warum, weiß sie selbst nicht genau. "Mein Stil ist das Märchenhafte, das spricht einen bestimmten Typus Frau an, ganz unabhängig von der Nationalität", sagt Kök. Und das bedeutet: Eine deutsche Braut, die ein besonders prinzessinnenhaftes Kleid sucht, würde hier das dezenteste Modell nehmen. Und das wäre dann immer noch für deutsche Vorstellungen kitschig.

Kök entwirft die Kleider selbst und lässt sie in der Türkei produzieren. Ein Kleid kostet bis zu 3000 Euro. Es ist bereits Köks zweiter Laden in Marxloh, im Jahr 2002 kam sie an die Weseler Straße, seit acht Jahren ist sie nun in der benachbarten Kaiser-Friedrich-Straße ansässig.

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Foto: dpa, mjh fg lof

In ihrem Laden warten an diesem Vormittag zwei Kundinnen auf ihre Brautkleid-Anprobe. Beide Bräute haben Begleiterinnen mitgebracht. Die Erste, eine Türkin, wartet schon seit eineinhalb Stunden auf ihre Anprobe, die Zweite ist Deutsche und kommt aus Dortmund. Eine Mitarbeiterin weist sie darauf hin, dass sich auch ihre Anprobe verschiebt. Aber das ist kein Problem, die Frauen lassen sich auf einer aubergine-farbenen Couch nieder. Bei schwarzem Tee mit viel Zucker unterhalten sie sich über die kirchliche Trauung. "Aber weiße Tauben hast du keine bestellt, oder?", will die eine Begleiterin von der Braut wissen. Nein, weiße Tauben wird es nicht geben. Hatice Kök ist im Stress, sie rennt zwischen Anprobe und Büro hin und her, ruft ihrer einzigen Mitarbeiterin Anweisungen auf Türkisch zu. Sie hat an diesem Tag eine Anprobe nach der anderen und zu wenig Personal. Urlaubszeit.

Wer die Duisburger Hochzeitsmeile verstehen will, muss türkische Hochzeiten verstehen. "Eine Hochzeitsfeier ist ein gesellschaftliches Ereignis", sagt Ercan Idik. Er kümmert sich um die Belange der Einzelhändler an der Weseler Straße und ihrer Umgebung. "Die Braut ist immer eine Prinzessin", sagt Hatice Kök. "Die Deutschen kennen die türkische Schneiderkultur gar nicht, es ist hier nicht üblich, dass man sich sein Hochzeitskleid auf den Leib schneidern lässt."

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"Türkische Hochzeiten sind kitschig und pompös", das sagt auch Julian Odenthal. Er ist Marketingleiter für die Börekci-Brüder, die sechs Geschäfte auf der Hochzeitsmeile betreiben.

Seit Beginn der 2000er ist die Hochzeitsmeile ständig gewachsen, und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Die Inhaber expandieren, eröffnen weitere Filialen und entwickeln ihr Geschäftsmodell weiter. Die Börekci-Brüder gehörten zu den ersten, die hier einen Laden eröffnet haben. Sie verkaufen Braut- und Abendkleider und Anzüge für Herren in ihren sechs Geschäften entlang der Weseler Straße. Über den Umsatz wird geschwiegen — wegen der Konkurrenz, heißt es. Ihr größter Laden heißt "Prestije", den haben sie von ihrem Vater übernommen. Hier kostet ein Brautkleid zwischen 1500 und 2500 Euro. Die Brüder lassen in der Türkei produzieren und beschäftigen eine eigene Designerin. Hochwertig muss es sein, und das muss man dem Kleid auch ansehen. Deswegen sind die Corsagen überzogen mit aufwendigen Stickereien. Auch hier servieren sie ihren Kundinnen schwarzen Tee mit viel Zucker aus einem Samowar.

Das Unternehmen möchte wachsen und in Zukunft mehr deutschstämmige Kundschaft nach Marxloh locken. "Deutsche Kunden kommen auch, aber noch viel zu wenig", sagt Odenthal. Nur knapp 15 Prozent der Kundschaft seien deutschstämmig. Die "Prestije"-Inhaber wagen jetzt den ersten Schritt, um sich mehr zu öffnen: Sie planen einen Onlinehandel für Abendmode, gerade wird ein Lager gebaut. Brautkleider sollen aber vorerst nicht über den Versandhandel verkauft werden. Noch in diesem Jahr soll der Handel an den Start gehen.

Das Werben um deutschstämmige Kundschaft beobachtet auch Ercan Idik. Im Frühjahr, wenn sich die Abiturientinnen auf ihre Abschlussbälle vorbereiten, kommen viele von ihnen und suchen hier ein Kleid. Abibälle sind ein lohnendes Geschäft für die Händler an der Weseler Straße, bei "Prestije" gibt es ein Abendkleid schon ab 100 Euro. "Die junge deutsche Kundschaft ist uns gegenüber aufgeschlossen", sagt Idik. Er ist 55 Jahre alt und hat 1993 angefangen, sich um den Einzelhandel in Marxloh zu kümmern. Er hat die Anfänge der Hochzeitsmeile miterlebt. "Marxloh war schon immer das Einkaufszentrum im Norden Duisburgs", sagt er.

In den 70er und 80er Jahren habe sich das Viertel dann durch die Zuwanderung verändert, die Arbeiter und Angestellten der Fabriken zogen an den Stadtrand ins Grüne, die Migranten zogen ein. 1999 sei der Startschuss für die heutige Entwicklung gewesen, die EG Duisburg lud viele Händler für ein Wochenende zu einem großen Bazar auf die Weseler Straße ein. "Ab da ging ein Ruck durch den Stadtteil, Marxloh wollte wieder werden, was es einmal war: ein Zentrum für Gewerbe und Handel."

Mit einem türkischen Juwelier fing dann alles an. Die Tochter des Juweliers heiratete einen Türken, dessen Familie in der Türkei ein Brautmodengeschäft besaß. Er eröffnete das erste Geschäft. "Das hat schnell Nachahmer gefunden", erzählt Idik. Anfang der 2000er hatte sich Marxloh dann als Standort für Hochzeitsmode etabliert.

Das ist die Zeit, in der auch Hatice Kök mit ihrem Geschäft von Mülheim nach Marxloh kam. Auf 50 Quadratmetern fing sie mit ihrem ersten Laden an, nun misst ihr Brautmoden-Palast 800 Quadratmeter. Sie glaubt, dass sich Marxloh noch viel weiter öffnen muss, wenn noch mehr deutsche Kundschaft kommen soll. Eine neue Offensive muss her, wenn es nach ihr geht. Sie möchte demnächst Werbung in deutschen Hochzeitsmagazinen schalten. Jetzt muss sie erstmal das Maßband zücken, die Dortmunder Braut hat ihr Kleid angezogen und steht jetzt auf dem Laufsteg in der Mitte des Geschäfts. "Wir haben eine große Verantwortung für unsere Kundinnen", sagt Kök, während sie den Sitz des Kleides kritisch prüft. "Das Kleid ist das Wichtigste für die Braut. Es muss alles perfekt sein." Zwei weitere Anproben bleiben dafür noch vor dem Hochzeitstermin. Es wird schwarzen Tee geben, mit viel Zucker.

(heif)
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