Duisburg Flüchtlinge lernen Deutsch im Wohnzimmer

Duisburg · In einem Hochfelder Wohnkomplex helfen Ehrenamtliche Flüchtlingen nicht nur beim Vokabelpauken.

 Deutschunterricht ist für Flüchtlingskinder eigentlich unverzichtbar, wollen sie hier wirklich "ankommen".

Deutschunterricht ist für Flüchtlingskinder eigentlich unverzichtbar, wollen sie hier wirklich "ankommen".

Foto: Julia Zuew

Eine achtköpfige Familie aus Afghanistan hat geklingelt; zum Glück ist jemand dabei, der übersetzen kann. "Das macht es am Anfang etwas einfacher", sagt Sigrid Lessing. Die Grafikerin beweist Organisationstalent: Schnell sind die Kinder eingeteilt in die passenden Unterrichtsgruppen, und das anfängliche Chaos legt sich. Die Türglocke geht erneut, und im Minutentakt - es ist ein Wunder, wie viele Leute in die drei "Klassenzimmer" passen.

 Sigrid Lessing ist eine der ersten, die in dem Projekt mitarbeiten.

Sigrid Lessing ist eine der ersten, die in dem Projekt mitarbeiten.

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Deutschkurse und Nachhilfe im großen Stil vermutet wohl keiner in dem verwinkelten, mehrstöckigen Wohnblock in Hochfeld. Doch dort treffen sich mehrmals in der Woche ehrenamtliche Helfer und machen genau das möglich: An vier Tagen in der Woche, jeweils vormittags und nachmittags, empfangen sie Flüchtlingsfamilien zum Deutschunterricht.

"Einheitlicher und organisierter Unterricht ist hier kaum möglich", sagt Sigrid Lessing, eine der ersten, die sich an dem Projekt beteiligt. Viel zu unterschiedlich sei die Zusammensetzung der Unterrichtsgruppen - auch wenn sich mittlerweile ein "Kern" gebildet habe. "Manche Teilnehmer haben gar keine Vorkenntnisse, andere können schon erste Sätze in Deutsch." Improvisation sei hier der Schlüssel zum Erfolg, meint Lessing. Meist beginne der Unterricht mit einfachen Dialogen und simplen Rechenaufgaben, um für eine "Grundausstattung" mit Alltags-Vokabular zu sorgen. So versucht das Team aus pensionierten und aktiven Lehrern zusammen mit anderen Helfern, Basiskentnisse der deutschen Sprache zu vermitteln, Nachhilfe mit den ersten deutschen Hausaufgaben zu geben und auch Hilfe in anderen Lebensbereichen zu leisten. Oft sind Termine bei Ämtern, wichtige Post auf Deutsch oder die Suche nach Arbeit alltägliche Hürden. "Wir versuchen, unser Netzwerk aus freiwilligen Helfern zu nutzen", sagt dazu Lessing. Manchmal finde sich jemand, der übersetzen kann, oder Freiwillige für intensivere Nachhilfe. Ebenso versuchen die Helfer, sich um individuelle Förderung zu bemühen.

Einer der Schüler hat vor seiner Flucht zwei Jahre lang in Syrien Bionik studiert. "Er fragte mich nach einer Bibliothek in der Stadt. Irgendwann wurde mir klar, dass die Stadtbibliothek nicht das Passende ist", so Lessing. Sie ging zusammen mit dem jungen Mann zur Universität Duisburg-Essen, wo er nun das Angebot der Bibliothek nutzen kann. Lessing zeigt sich erfreut: "Wahrscheinlich kann er demnächst in Essen auch als Gasthörer in die Vorlesungen gehen."

Ursprünglich waren nur Kurse für Kinder geplant, die keine Möglichkeit für einen geregelten Deutschunterricht hatten. Die Eltern kamen aber gewöhnlich mit. Also begannen Lessing und ihre Kollegen, auch eine Gruppe mit den Eltern zu unterrichten.

In drei Zimmern und in einer kleinen Teeküche finden die Deutschkurse statt. Alte Stühle und Tische aus einer Grundschule bilden die Ausstattung der improvisierten Schule. "Die Wohnung hat uns die Stadt Duisburg zur Verfügung gestellt. Auch mit Materialien wie Papier, Hefte und Möbel hat sie uns von Beginn an sehr geholfen." Im Januar dieses Jahres begann die Planung für das Projekt. Sigrid Lessing war von Anfang an dabei: "In der Zeit um Ostern wurde die Wohnung renoviert und gereinigt. Kurze Zeit später begannen wir mit dem ersten Unterricht." Schnell habe die Nachricht sich in den umliegenden Wohnungen verbreitet, und auch an Helfern mangele es nicht. "Wir sind viele, deshalb ist es auch nicht schlimm, wenn jemand mal ausfällt." Bisher habe der Unterricht immer stattgefunden - meist auch mit ausreichender Besetzung. Was mit einem Unterrichts-Termin in der Woche begann, ist mittlerweile zu einer festen Institution geworden: "Einige der Flüchtlinge sind inzwischen über Monate hinweg regelmäßig da. Aber es kommen immer wieder Neue dazu."

(zuew)
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