Duisburg Filmbilder erscheinen über die Ohren

Duisburg · Sehbehinderte Schüler der Duisburger Johanniterschule realisierten eine Audiodeskription für die Dokumentation "Alles neu", bei der es um die Ankunft eines afrikanischen Flüchtlingsjungen in den Niederlanden geht.

 Sehbehinderte Schüler beschreiben einen Jugendfilm in der Aula der LVR-Johanniterschule an der Johanniterstraße in Hochfeld.

Sehbehinderte Schüler beschreiben einen Jugendfilm in der Aula der LVR-Johanniterschule an der Johanniterstraße in Hochfeld.

Foto: Christoph Reichwein

Auch für sehbehinderte, ja sogar für blinde Menschen können Filme attraktiv sein. Das weiß man auch bei "doxs!", der Sparte für den Jugenddokumentarfilm, die sich neben der Duisburger Filmwoche schon seit einigen Jahren fest im europäischen Raum etabliert hat. Bereits seit drei Jahren gibt es bei "doxs!" das Projekt "Junge Filmbeschreiber", bei dem es darum geht, Filme für sehbehinderte oder gar blinde Schüler so zu beschreiben, dass die "Filmbilder über die Ohren erscheinen". Anders ausgedrückt: Die wichtigsten Bildinformationen sollen sich über einen in den Film eingesprochenen Begleittext erschließen.

Jetzt hat "doxs!" sein jüngstes Projekt vorgestellt. Dabei haben neun Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klasse der LVR-Johanniterschule in Duisburg (Förderschwerpunkt Sehen) zwei Monate lang intensiv an der Filmbeschreibung für den vorzüglichen niederländischen Dokumentarfilm "Niew - Alles Neu" von Eefje Blankevoort gearbeitet. Der Film schildert die ersten Wochen, die ein achtjähriger afrikanischer Flüchtlingsjunge in den Niederlanden erlebt. Der 19-minütige Film wurde 2014 bei der Duisburger Filmwoche im "doxs!"-Programm gezeigt und mit einer lobenden Erwähnung bedacht.

Das Besondere bei dieser Audiodeskription ist, dass acht der neun Schüler sehbehindert sind, aber noch so viel Sehkraft besitzen, dass sie mit entsprechenden Hilfsmitteln einen Film auch optisch verfolgen können. Ein am Projekt beteiligter Schüler ist zu 100-Prozent blind. Seine Teilnahme war aber besonders wichtig, weil er seinen Mitschülern sagen konnte, welche Bildinformationen nötig sind oder welchen Begleittext man sich sparen kann. Christian Kosfeld, der für "doxs!" die Filmbeschreibung leitete, erläutert das so: "Im Film wird sehr viel über den Ton oder Geräusche vermittelt. Daher sind nach genauem Hinhören oft wesentlich weniger Bildbeschreibungen nötig, als man vermuten würde."

Wie eine gute Filmbeschreibung sich anhört, konnte jetzt die versammelte Schülerschaft der Duisburger Johanniterschule erleben. Vor ihnen (und der Presse) wurde jetzt "Nieuw - alles neu" mit der gerade fertiggestellten Filmbeschreibung aufgeführt. Die Schüler verfolgten die Aufführung sehr konzentriert; zwar mit Lachern (an den richtigen Stellen übrigens), ansonsten aber ohne Zwischenbemerkungen oder Albernheiten. Gewiss ein Unterschied zu einer Aufführung vor normal sehenden Schülern.

Bei der Audiodeskription kommt es darauf an, solche Informationen und Beschreibungen zur Verfügung zu stellen, die hilfreich für Nicht-Sehende sind. Christian Kosfeld skizziert die Aufgabe so: Wer macht wo was und wann? Beschreibung des Ortes, der Personen, der Aktionen und der Zeit. So heißt es beispielsweise bei einer Szene: "Er (der afrikanische Junge) läuft draußen herum. Er trägt eine zu große Winterjacke. Dass die Jacke für den Jungen zu groß ist, ist nicht unwichtig; beweist sie doch, dass der kleine Junge mit den winterlichen Temperaturen hierzulande auf besondere Weise konfrontiert wird. Die Schüler haben das bei der Audiodeskription gut erkannt und hervorgehoben. Damit des Guten nicht zuviel beschrieben wird, müsse man sich aber auch fragen: Welche zusätzlichen Informationen sind unnötig? Was ist entweder als Geräusch oder in Dialogen schon zu hören oder erschließt sich? Die Schülergruppe habe sich, so berichtete Christian Kosfeld, zunächst damit beschäftigt, welche Informationen gesprochen werden müssen. Dann wurde so lange am Text gefeilt, dass er genau innerhalb der natürlichen Sprechpausen des Films eingesprochen werden kann. Man darf einen Film nicht "vollschwatzen". Auch musste darauf geachtet werden, ob die Geräusche des Films noch deutlich genug zu hören sind, wenn sie "unter" dem neuen Text liegen. Nicht zuletzt müssen die Schüler ihre Beschreibungstexte deutlich verstehbar, neutral, aber stilistisch abwechslungsreich einsprechen.

Damit alles perfekt klappt, braucht es seine Zeit. Christian Kosfeld hat errechnet wie viel: Eine Stunde Filmbeschreibungsarbeit pro Filmminute. Dass sich das gelohnt hat, zeigte der Applaus der Schüler nach der Filmaufführung.

(pk)
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