Duisburg Ein Festtagskuchen mit Kaffeesatz

Duisburg · Vor 70 Jahren fiel Ostern auf den 1. April - ein Feiertag, den sich viele so schön wie möglich zu machen versuchten.

 Wareneinsatz für den Marmorkuchen mit reichlich Eiern und viel Butter: rund drei Euro - Wareneinsatz für den Nachkriegskuchen, der eher nach einem Grau- oder Honigbrot aussieht, aber durchaus schmeckt: weniger als ein Euro.

Wareneinsatz für den Marmorkuchen mit reichlich Eiern und viel Butter: rund drei Euro - Wareneinsatz für den Nachkriegskuchen, der eher nach einem Grau- oder Honigbrot aussieht, aber durchaus schmeckt: weniger als ein Euro.

Foto: RP_Fotos (2) Reichwein

Henriette Davidies' Kochbuch von 1897 stand Jahrzehnte bei der Großmutter, später dann bei der Mutter im Bücherregal, und vor fast zwei Jahrzehnten ist es im Besitz der Tochter, Autorin dieser Zeilen. Spannender als die gedruckten Rezepte sind für sie die Zettelchen mit den winzig-kleinen, mit Bleistift geschriebenen Backanleitungen des Großonkels, der schon vor dem Krieg die alteingesessene Familien-Bäckerei und -Konditorei im niederrheinischen Kaldenkirchen übernommen hatte. Und weil er das Datum dazu notierte, weiß sie, dass die Zettelchen aus den Monaten stammen, in denen in weiten Teilen Deutschlands noch der Krieg wütete, während Kaldenkirchen schon befreit und von den englischen Besatzern in Besitz genommen war.

 Schwer vorstellbar, dass sich aus diesen wenigen Zutaten - vor allem aus Essig und Kaffeesatz - tatsächlich ein Kuchen herstellen lässt.

Schwer vorstellbar, dass sich aus diesen wenigen Zutaten - vor allem aus Essig und Kaffeesatz - tatsächlich ein Kuchen herstellen lässt.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Ostern 1945 wollte der backende Großonkel, der im Gegensatz zu anderen nicht zum Wehrdienst eingezogen und auch in den letzten Kriegsjahren nicht ausquartiert worden war, seiner Kundschaft offenbar das Fest, so gut wie es ging, versüßen. Backzutaten waren damals kaum zu bekommen, und die Öfen auf Temperatur zu bringen war schwierig. Der Ostersonntag fiel 1945 auf den 1. April. Und wie ihre Mutter erzählte, gab es Kartoffeln (eingelagert im Keller), dazu einen Kaninchenbraten (oder war es vielleicht die Nachbarkatze?) und Salat (Löwenzahn), zum Dessert eingekochte Birnen aus dem Garten und nachmittags einen Kaffeekuchen (klingt ja nicht schlecht).

Also nur Mut, backen kann sie, und was die Familie damals überlebt hat, wird ja wohl auch heute keine Vergiftungserscheinungen hervorrufen. Doch das Problem beginnt schon beim Zusammensuchen der Zutaten für den besagten Kaffeekuchen. Mehl und Zucker sind vorhanden. Aber Kaffeesatz? Wer kocht heutzutage schon Kaffee auf Satz - gemahlener Kaffee in der Kanne, übergossen mit heißem Wasser, umgerührt und stehengelassen, bis sich am Boden die schwarz-braune Pampe abgesetzt hat? Sie tut's, ausnahmsweise. Ihre Nackenhaare rollen sich aber endgültig auf, als sie in die Mischung aus Mehl, Zucker, Milch und Kaffeesatz -igittigitt - auch noch Essig kippt. Doch es muss sein, so steht es schließlich im Rezept! Dass Essig (zwei Esslöffel) in Verbindung mit Natron (ein Esslöffel) Backpulver ersetzen, das weiß sie noch aus dem Chemieunterricht. Und Backpulver war wohl zu Kriegsende selbst für einen Konditor schwer aufzutreiben.

Während Großmutter und Mutter früher Kuchenteig mit dem Holzlöffel aufschlugen, was wirklich anstrengend sein kann, packt sie den ganzen Plunder in die Küchenmaschine. Vielleicht kann das Wunderwerk der Technik aus den Zutaten was Leckeres herausholen? Doch der Blick in die Rührschüssel lässt daran arg zweifeln. Darin schwappt eine gräuliche Masse, die eher nach abgestandenem Teich-Wasser als nach Kuchenteig aussieht und den sie nun langsam in die Backform gleiten lässt. Nach einer halben Stunde im Ofen hebt sich die klebrige Masse langsam an, nach einer weiteren viertel Stunde hat sie fast den Rand der Form erreicht und an der Oberseite Farbe bekommen. Noch mal 15 Minuten, der Kuchen ist fertig.

Von Außen sieht er ein bisschen aus wie Honigbrot, das es bei unseren niederländischen Nachbarn zu kaufen gibt. Und von innen? Wie ein dunkles Graubrot, ziemlich fest, aber auch nicht knüppelhart. In der Küche riecht es inzwischen so wie früher bei Oma. Ein kleines bisschen säuerlich. Kommt wohl vom Kaffeesatz oder vom Essig.

Ach so, wie der Kuchen schmeckt? Die einen sagen so, die anderen so. Als Testesser müssen die Kollegen herhalten. Und die sind angetan. Besonders die vegane Kollegin ist begeistert und will (trotz der Verwendung von Milch) das Rezept nachbacken!

Gleichzeitig mit dem Kriegs-Kuchen produzierte sie übrigens - sicher ist sicher - auch noch einen für Veganer ungeeigneten Marmorkuchen mit ganz viel Butter und Eiern, der - wie immer - köstlich schmeckt, herrlich duftet, aber im Wareneinsatz auch bestimmt fünf Mal so teuer ist wie das Backware anno 1945.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort