"No-go-Area" Duisburg-Marxloh Die Polizei bietet Familienclans die Stirn

Duisburg · Der Duisburger Stadtteil Marxloh wird für einige Menschen allabendlich zur "No-go-Area". Libanesische Großfamilien liegen seit Wochen im Clinch mit der Polizei. Die kontert nun mit einer massiv verstärkten Präsenz.

Nachts unterwegs in Duisburg-Marxloh
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Foto: Christoph Reichwein

Die Sonne ist längst verschwunden. Wo vor wenigen Stunden noch das städtische Leben pulsierte, Menschen frisches Obst und Gemüse kauften und Frauen nach einem Hochzeitskleid Ausschau hielten, hat jetzt die Polizei übernommen. Es sind keine gewöhnlichen Polizisten, sondern Einsatzhundertschaften in voller Montur, die jetzt patrouillieren. Das schafft Eindruck.

Normale Bürger sind so gut wie gar nicht auf den Straßen zu sehen, Marxloh wirkt wie ausgestorben. Müll liegt auf den Bürgersteigen, der Wind weht eine Plastikflasche auf die Bahngleise. Ein fauliger, unangenehmer Geruch steigt einem in die Nase. Ein halbes Dutzend zwielichtiger Gestalten steht vor einer mit neonblauem Schriftzug beleuchteten Spielhalle und mustert jedes vorbeifahrende Auto mit Argwohn. Die Wagen, die durch die zentrale Einkaufsstraße von Marxloh rollen, wollen so gar nicht in das trostlose Bild passen, das der Stadtteil zu dieser Uhrzeit sonst bietet: Luxus-Karossen schlängeln sich vorbei an Häusern mit bröckelnden Fassaden. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

Stadtteil vor der Zerreißprobe

Marxloh, ein Stadtteil im Duisburger Norden, steht vor einer Zerreißprobe. Libanesische Großfamilien wähnen sich außerhalb des Gesetzes, beleidigen und bedrohen Beamte. Anfang Juli wurde eine Polizistin von einem Mann aus einer 15-köpfigen Gruppe von Libanesen bei einer Verkehrskontrolle niedergerschlagen. Die Situation beruhigte sich erst, als ein zweiter Polizist seine Schusswaffe zog. Doch nicht nur das: Rivalisierende Rockerbanden, Türken und Libanesen, die um die Vorherrschaft auf der Straße kämpfen, sorgen in Marxloh für ein angespanntes Klima. Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien sollen für den vielen Müll im Viertel verantwortlich sein. Die Mehrheit der Bürger traut sich in den Abendstunden nicht mehr aus dem Haus. Um der Lage auf den Straßen Herr zu werden, erhält die Duisburger Polizei schon seit Wochen Nacht für Nacht Unterstützung durch Kollegen von Hundertschaften aus anderen Landesteilen. Die Entstehung eines rechtsfreien Raums - einer "No-go-Area" - soll so verhindert werden.

Allein in dieser Nacht sind in Marxloh acht Einsatzwagen mit insgesamt 33 Polizisten im Einsatz. Wer sich zu später Zeit dort aufhält, sieht im Fünfminutentakt die Ordnungshüter durch die Straßen fahren. Sie kontrollieren Autobesitzer, nehmen Personalien auf und verscheuchen laut feiernde Menschen aus Osteuropa von den Straßen, um die Nachtruhe zu sichern. Ab und an geht das Blaulicht an, ansonsten bleibt es ruhig.

Das ist jedoch nicht immer so. Eine Polizistin verrät: "Am Vortag hat es keine halbe Stunde gedauert, nachdem wir weg waren, und es hat eine Massenschlägerei gegeben." Bis zum Ende des Jahres soll die Duisburger Polizei noch Unterstützung aus Recklinghausen, Münster, Wuppertal und anderen Städten aus Nordrhein-Westfalen erhalten. Die massive Präsenz der Ordnungshüter scheint derzeit die einzige Möglichkeit, die Lage im Problemviertel unter Kontrolle zu halten.

 Autor Sebastian Bergmann sah sich nachts in der No-Go-Area um.

Autor Sebastian Bergmann sah sich nachts in der No-Go-Area um.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Bürger sprechen von einem beklemmenden Gefühl

Uwe Heider (SPD) ist Bezirksbürgermeister. Er ist verantwortlich für den Stadtteil Marxloh und kennt die Sorgen und Ängste der Menschen. Bis zu 20 Mal pro Woche werde er von Bürgern jeglichen Alters - mit und ohne Migrationshintergrund - angesprochen, die sich ab Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße wagen. Sie alle sprechen von einem "beklemmenden Gefühl", dass sie überkommt, wenn es dämmert. Uwe Heider kann das nachvollziehen, sagt aber: "Es ist ein subjektives Gefühl der Angst." Ihm selbst sei noch nie etwas in Marxloh passiert. "Aber ich kann verstehen, wenn Menschen so empfinden, wenn sie nachts durch den Stadtteil laufen." Die integrierten türkischstämmigen Bürger in Marxloh würden bereits wissen, "wie man hier lebt". Das müsse den Neuhinzugezogenen erst noch verdeutlicht werden. Eine Paradelösung, um die zunehmenden Probleme in den Griff zu bekommen, habe auch er nicht. "Aber die verstärkte Polizeipräsenz ist wichtig, um diesen Menschen zu zeigen, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Sie müssen lernen, die Polizei als Ordnungsinstanz zu akzeptieren und zu respektieren."

Heinz Maschke sieht das ähnlich. Er ist Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Duisburg (EG DU). Seit über 20 Jahren hilft er dabei, den Stadtteil wirtschaftlich voranzubringen und die allgemeine Wohn- und Lebenssituation der Bürger zu verbessern. Aber auch er sagt: "Wir waren schon einmal weiter in Marxloh." Vor allem abends sei die Situation auf den Straßen "nicht schön". Dass die Duisburger Polizei nun durch andere Kräfte unterstützt werde, sei aber ein Zeichen, "dass sich gekümmert wird". Er sagt: "Wann immer verschiedene Ethnien auf kleinstem Raum aufeinanderstoßen, entstehen Probleme. Diese müssen wir versuchen zu lösen." Um den Bürgern ein zusätzliches Sicherheitsgefühl zu geben, soll bald ein neues Stadtteilbüro der EG DU direkt im Marxloher Zentrum eingerichtet werden.

Auf den Straßen wird es derweil wieder hell. Die ersten Ladenbesitzer öffnen ihre Geschäfte, die Einsatzkräfte der Polizei aus Recklinghausen, die in der vergangenen Nacht Dienst hatten, sind bereits auf dem Heimweg.

(RP)
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