Duisburg "Duisburg ist ein Heimspiel für mich"

Duisburg · Der Schriftsteller Walter Kaufmann (92), der als Jugendlicher vor den Nazis aus Duisburg fliehen konnte und musste, las jetzt auf Einladung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in der Zentralbibliothek.

Der von 1926 bis 1939 in Duisburg aufgewachsene Schriftsteller Walter Kaufmann kommt regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Duisburg. Jetzt war der mittlerweile 92-Jährige auf Einladung der Duisburger Stadtbibliothek und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Duisburg-Mülheim-Oberhausen erneut in der Stadt und hatte sein neuestes Buch "Meine Sehnsucht ist noch unterwegs" im Gepäck. Daraus las er jetzt im gut besuchten Stadtfenster.

"Duisburg ist ein Heimspiel für mich" ließ er zu Beginn der Veranstaltung das Publikum wissen. "Heute aber werden sie nichts aus meiner Duisburger Vergangenheit von mir hören, dazu hatte ich in letzter Zeit mehrfach Gelegenheit." Und in der Tat war Kaufmann in den vergangenen Jahren häufig in Duisburg, darunter 1999 mit seinem Roman "Steinwurf", 2004 mit seinen Erzählungen "Die Welt des Markus Epstein", 2010 mit seiner Biografie "Im Fluss der Zeit" sowie 2015 mit seinen autobiografischen Erzählungen "Schade, dass du Jude bist".

Jetzt also stellte er eindrucksvoll seine neueste Veröffentlichung "Meine Sehnsucht ist noch unterwegs. Ein Leben auf Reisen" auf der Veranstaltungsbühne der Zentralbibliothek vor. Das Werk, zur Jahreswende 2015/2016 erschienen, erlebte seine Buchpremiere erst vor sechs Wochen örtlich passend in der Anna-Seghers-Gedenkstätte in Berlin. Denn Walter Kaufmann, eigentlich heißt er Jizchak Schmeidler, ist am 24. Januar 1924 in der Hauptstadt geboren und lebt seit Jahren in Berlin-Mitte. Sein Wunsch wäre es, verrät er seinen interessierten Zuhörern, dass sich ein Verleger finden möge, der die drei jüngsten (auto)biografischen Werke zu einer Trilogie "in einen Schuber mit drei Taschenbüchern" zusammenfassen würde. Dass, was sich dem Leser mit dieser Neuveröffentlichung nämlich darstellt, ist das bewegte Leben eines Kosmopoliten: Ein Leben auf Reisen unter anderem nach Japan, Israel, Irland und in die Vereinigten Staaten von Amerika, und zwar ausgehend als 15-Jähriger von einem der letzten geheimen Kindertransporte 1939 aus Nazi-Deutschland über die Niederlande nach Großbritannien bis hin zu seiner letzten großen Reportage-Reise 2001 in die USA. So bereiste er 1953 als junger Schriftsteller Japan nach dem Abwurf der Atombomben sowie als Jude, der seine Eltern in Auschwitz verlor und selbst den Nazis entfliehen musste, das junge, gewaltgeprägte Israel. Als Journalist reiste er inmitten von IRA-Terror und -Bomben nach Nordirland sowie als Sozialist in die USA, erst zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung und später unmittelbar nach dem Terroranschlag auf die Zwillingstürme des damaligen World Trade Centers 2001. "Ich bin durch die Welt gereist, es gibt kein Land auf der Welt, das ich nicht kenne", schreibt Kaufmann zu Beginn seines ersten Kapitels als 15-Jähriger im englischen Internatsexil. Doch seine größeren und älteren Mitschüler bezeichnen ihn als Lügner und Aufschneider und drohen ihm mit Schlägen. "Macht mit mir, was ihr wollt", entgegnet er ihnen gelassen. "Eines Tages gibt's kein Land, dass ich nicht kenne." Dann zerschlugen sie ihm mit einem Faustschlag seine Nase.

Der Gewalt nicht weichen, war und ist Kaufmanns humanistische Lebenseinstellung. Gegen Krieg und Unrecht, für Frieden und Gerechtigkeit lautet sein weltanschauliches Credo. So beeindruckte ihn auf einer seiner Reisen ins "Gelobte Land" ein junger israelischer Offizier namens Schmul Rubinstein, der auf den Golan-Höhen mitansehen musste, wie seine Soldaten Gräueltaten an Palästinensern verübten. Daraufhin zog er seine Offiziersuniform aus und wollte fortan keine Befehle mehr geben. Später verließ er Israel und wanderte nach Südamerika aus. Kaufmann: "Es wäre schön, wenn es mehr Menschen wie Schmul Rubinstein geben würde." Im letzten seiner vier ausgewählten auszugsweise vorgelesenen Kapitel stellte er jene Passage vor, die "Die Reise nach Kabul" nach dem Angriff auf die Zwillingstürme von Manhattan zum Inhalt hatte. Kaufmann: "Über sechs Millionen während der NS-Zeit ermordete Juden, auch über 3000 Terror-Tote infolge des 11. Septembers kann man nicht schreiben, wohl aber über einen Toten, der stellvertretend für alle anderen steht."

Walter Kaufmann: Meine Sehnsucht ist noch unterwegs. Ein Leben auf Reisen. Verlag Neues Leben, Berlin 2015. 256 Seiten / Gebundene Ausgabe. Buch 14,99 Euro / ISBN 978-3-355-01847-0; eBook 11,99 Euro / ISBN 978-3-355-50033-3

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