Duisburg Die Welt als zerstörter Lebensbaum

Duisburg · Die dreisprachige Theaterinszenierung "Wenn Farah weint" wurde am Sonntag im überfüllten Lokal Harmonie in Ruhrort uraufgeführt. Das Publikum war von der anspruchsvollen, intelligenten Schauspielarbeit begeistert.

 Die weinende Farah (Enana Alassar) auf dem Boden liegend unter einem Haufen Geäst. Über ihr der Grenzoffizier (André Lewski) und im Hintergrund (v.l.) ihr Vater (Bassam Dawood), ihre Freundin, die Aktivistin Dunya (Yasmeen Ghrawi), sowie ihr Freund Ahmed (Mohammed Nourallah).

Die weinende Farah (Enana Alassar) auf dem Boden liegend unter einem Haufen Geäst. Über ihr der Grenzoffizier (André Lewski) und im Hintergrund (v.l.) ihr Vater (Bassam Dawood), ihre Freundin, die Aktivistin Dunya (Yasmeen Ghrawi), sowie ihr Freund Ahmed (Mohammed Nourallah).

Foto: Foto Thomas Weiss

Es war der Schlusstag einer sechsteiligen Aufführungsserie von einer dreisprachigen Theaterinszenierung auf dem Weg von Berlin ins Ruhrgebiet, was dem begeisterten Publikum am Sonntag im überfüllten Ruhrorter Lokal Harmonie geboten wurde - und eine intelligente, höchst kreative, vieldeutige Schauspielarbeit dazu. Es war kurz nach 12 Uhr am Sonntag, als die letzte Vorstellung der Uraufführungsreihe "Wenn Farah weint" des syrischen Dramatikers Mudar Al Haggi im Lokal Harmonie begann: Welch eine Symbolik! Denn im Krieg in Syrien ist es nicht mehr fünf Minuten vor 12, sondern bereits lange danach. Diese und andere kreative Mehrdeutigkeiten gibt es zu Hauf in der von Stella Cristofolini und Stefan Schroer semiotisch eindrucksvoll inszenierten Produktion von "Theater Arbeit Duisburg" (TAD), die aus einem aus Syrien, dem Irak und Deutschland zusammengestellten, homogenen Schauspielensemble besteht, zu dem auch eine gerade geflüchtete Darstellerin gehört.

Doch anders als bei anderen Theaterproduktionen mit Geflüchteten auf deutschsprachigen Bühnen, die derzeit offenbar "en vogue" sind, wie Schroer kritisch anmerkt, haben die Theaterarbeit und der Bühnenprozess beim TAD in dieser Hinsicht eine lange Tradition und eine andere Qualität. Mit dem in Damaskus geborenen, heute in Berlin lebenden Autor Al Haggi verbinden TAD, Cristofolini und Schroer nämlich eine seit 2013 bestehende Kooperation. Erstes Ergebnis war die Produktion "Now T-here", die in Berlin, Oberhausen, Bochum und Duisburg aufgeführt wurde.

Das 2014 vom Autor nun verfasste Drama "Wenn Farah weint", das bisher nur in einer englischen Übersetzung publiziert wurde, ist eine Weiterentwicklung dieser intensiven persönlichen Zusammenarbeit. Nach zwei restlos ausverkauften Uraufführungen im Berliner Theater "Schaubude" Ende September gastierte die Produktion mit ebensolcher Publikumsresonanz vergangene Woche im Ruhrgebiet, und zwar in Mülheim, Oberhausen, Essen, Bochum und Duisburg.

Der Text erzählt von Farah (gespielt von Enana Alassar), einer jungen Frau aus Damaskus, die auf Demonstrationen geht und dort auf die Aktivistin Dunya (Yasmeen Ghrawi) trifft, das aber sowohl vor ihrem Vater (Bassam Dawood) verheimlicht, als auch vor ihrem Freund Ahmed (Mohammed Nourallah), der selbst die Opposition unterstützt, weil beide nämlich nicht wollen, dass sie sich Gefahren aussetzt. Was ihr bleibt, ist die Flucht über die Grenze nach Jordanien, wo sie auf syrischer Seite von einem Grenzbeamten (André Lewski) aber zunächst verhaftet wird.

"Das Stück", sagt Schroer, "beruht auf einer wahren Begebenheit. Al Haggi kennt sogar die Frau, der das passiert ist: Im Stück ist es die Szene, in der der Grenzoffizier mit Farahs Vater telefoniert. Beide verständigen sich darauf, Farah nicht weiterreisen zu lassen, sondern sie zurück nach Damaskus zu schicken." Insofern ist das Stück die Geschichte von Farah und ihrer Emanzipation von familiären, patriarchalischen und gesellschaftlichen Zwängen in Zeiten, in denen der Versuch der syrischen Revolution den Sturz der Assad-Regierung herbeizuführen, beginnt sich in einen unvorstellbar brutalen (Bürger)Krieg zu wandeln. "Stopp aller Waffenlieferungen! Das wäre es, was das Land braucht", heißt es sinngemäß an einer Stelle im Text. Doch der damit durchaus einhergehenden Versuchung, das Stück als Agitprop- oder Lehrstücktheater zu inszenieren, ist die Regie nicht gefolgt. Stattdessen setzten Cristofolini und Schroer auf reichhaltige Phantasien und Metaphern durch vieldeutige Bühnen- und Kopf-Bilder beim Publikum. Insofern bestehe alles, was die Welt und das Leben ausmachen, aus dicken und dünnen Stöckern, aus großen und kleinen Ästen. All das Gehölz nutzten die Darsteller unentwegt, ob als Werkzeuge, Trommelstöcke oder Waffen, ob als Angel, Zigarette oder Jonglage. Sie erstellten Gerüste und andere Bauten, rissen diese wieder ein und bauten sie andernorts wieder auf. So geschehen in der Szene, wo der Grenzoffizier, die von den Protestlern Dunya, Farah und Ahmed geschaffenen Holzskulpturen abbaute und zu einer Art Scheiterhaufen anhäufte. Soll beziehungsweise kann heißen: Die Revolution hat verloren! Der Krieg kann beginnen! Mit anderen Worten: Die Welt als zerstörter Lebensbaum. Während die Monologe der Figuren von den Darstellern häufig in ihrer Muttersprache Deutsch oder Arabisch gesprochen wurden, wurden die Dialoge zumeist in englischer Sprache geführt. So fanden die (Sprach)Kulturen auf spielerische (Erzähl)Weise zu einer Botschaft zusammen, die das Publikum auch ohne Zuhilfenahme der verteilten dreisprachigen Szenenbeschreibungen nachvollziehbar mit nach Hause nehmen konnte, um dem abends im Fernsehen über Syrien Gesendeten und morgens in der Zeitung Stehenden eine Hoffnung entgegenzusetzen.

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