Duisburg Die Tiefendimension der Oberfläche

Duisburg · Am Samstagnachmittag wird im Lehmbruck-Museum die Ausstellung "An der Oberfläche" spektakulär eröffnet: Eine Künstlerin bearbeitet mit den Fäusten einen Tonklumpen, der zur Skulptur wird. Auch der Rest ist interessant.

Duisburg: Die Tiefendimension der Oberfläche
Foto: Christoph Reichwein

Der Untertitel der Ausstellung, die am Samstag, 2. Juli, 16 Uhr, im Lehmbruck-Museum eröffnet wird, hört sich wie die Überschrift einer Doktorarbeit an: "Die Oberfläche als Bedeutungsträger in der Skulptur." Vom Untertitel sollte man sich nicht abschrecken lassen, verbirgt sich doch hinter dem Motto "An der Oberfläche" (On Surface) eine ungemein sinnliche Ausstellung, bei der es nicht nur ums Sehen, sondern auch ums Tasten, Hören und gelegentlich auch Riechen geht.

Im Katalog, der in Samt eingebunden ist (Tastsinn), stellt Museumsdirektorin Dr. Söke Dinkla die Fragen, die zur Konzeption der Ausstellung geführt haben: Wohin führt uns die Oberfläche eines Kunstwerks? Was sieht, was fühlt unser tastender Blick? Was erzählt uns die Oberfläche vom Prozess des Gemachtseins, von der Hand der Künstlerin oder des Künstlers? Welche Ideen bringt die Außenhaut eines Kunstwerks in der heutigen technologisierten Zeit hervor, und was verbirgt sich unter der Oberfläche? Um Antworten auf diese Fragen zu stellen, werden Kunstwerke von 24 Künstlern präsentiert; angefangen von August Rodins "Eva" aus dem Jahr 1881 bis zu einer 80 Quadratmeter großen Wandinstallation im Wechselausstellungsraum, die die Siegener Künstlerin Heike Weber (Jahrgang 1964) erst vor wenigen Tagen beendet hat.

Der kunstgeschichtliche Rückblick ist dabei durchaus sinnvoll: So hat Rodin mit seinen Skulpturen seine Zeitgenossen irritiert, weil er scheinbar "unfertige" Arbeiten als vollendet präsentierte. Er glättete nicht seine Skulpturen, sondern stellte sie schroff, kantig und spröde-krustig in den Raum. Bei der "Eva" (eine Leihgabe aus dem Städel Museum in Frankfurt a.M.) kann man am Fuß sogar noch eine Halterung erkennen. Aus der Duisburger Museumssammlung stammt Medardo Rossos "Pförtnerin", die ebenfalls vor rund 130 entstand und die der Künstler aus Wachs und Gips schuf. Neben solchen Schlüsselwerke der Wegbereiter der Moderne (dazu gehören vor allem auch Wilhelm Lehmbruck und Constantin Brancusi) leitet die Ausstellung rasch in die Gegenwart über.

Blickfang im Ausstellungsraum ist eine Arbeit der belgischen Künstlerin Berlinde De Bruyckere (1964 in Gent geboren), die einen abgestorbenen Baumstamm mit Wachs und Farbe behandelte, ihn mit Stofffetzen umwickelte und das ganze Werk auf einem Arbeitstisch bettete. "Krüppelholz" ist der Titel, was uns aber nicht nur an Holz, sondern auch an Gliedmaßen, vielleicht an eine Mumie denken lässt. Im Katalog findet sich ein Zitat der Künstlerin: "In Ovids 'Metamorphosen' wird der Mensch zum Baum, bei mir wird der Baum zum Menschen." "Bitte berühren" (To Touch) steht an einem schlicht-aussehenden Holztisch, der in einem eigenen, akustisch-abgeschotteten Raum innerhalb der Ausstellung steht. Der Tisch riecht etwas harzig. Er könnte aus einer alten Werkstatt stammen. Das Holz fühlt sich angenehm glatt an, fast wie bei einem Handschmeichler. Was man nicht ahnt: Im Tisch steckt Technik, die sich - auf angenehme Weise - aber erst beim Berühren des Tisches offenbart... - Eine das Gemüt angenehm berührende Arbeit der Kanadierin Janet Cardiff (Jahrgang 1957).

In abgedunkelten Dreiecksräumen finden sich Werke, bei denen auf unterschiedliche Weise mit Licht und Lichtbildern gearbeitet wird. Die bekannte Künstlerin Jenny Holzer (1950 in Ohio geboren) kombiniert Wasser, Kreisformen, plätschernde Apparaturen und Projektionen für ein meditatives Werk. Der spanische Künstler Daniel Canogar (Jahrgang 1964) wirft mit einer Lichtquelle, die selber eine Kunstinstallation ist, Nahaufnahmen eines menschlichen Körpers auf die weiße Museumswand, wobei die Haut geknetet erscheint und so zum Material, zum Produkt der (Licht-)Technik wird.

Mit Wahrnehmungsphänomenen, beziehungsweise Auflösung und Entgrenzung beschäftigt sich der Chemnitzer Carsten Nicolai (Jahrgang 1965): Durch wabenförmige Löcher in einem sich schnell drehenden Edelstahlzylinder strahlt Licht, das sich an den Wänden des Museums fängt.

Es gibt noch viele andere Beispiele, wie Künstler zur Tiefendimension der Oberfläche vorstoßen. Lohnenswert ist gewiss auch die Ausstellungseröffnung am Samstag. Nach der Einführung von Dr. Söke Dinkla lädt die türkische Künstlerin Nezaket Ekici zur Performance "Not on Earth" ein: Dabei bearbeitet sie u.a. mit Fäusten einen Tonklumpen, der noch am selben Nachmittag zur Skulptur werden soll.

Die Ausstellung ist bis zum 23. Oktober in Duisburg zu sehen. Der Katalog kostet an der Museumskasse während der Ausstellung 19,90 Euro, später 34 Euro.

(pk)
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