Wolfgang Braun "Die Shoah und ihr Schatten"

Duisburg · Der Sprecher der Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" über den Sinn von Gedenkveranstaltungen und die Schwierigkeit, Verstandesbildung und Herzensbildung in Einklang zu bringen.

 Wolfgang Braun begleitete gestern Nachmittag die französische Künstlerin und Psychiaterin Francine Mayran in die Salvatorkirche, wo sie ihre ungewöhnlich Porträt-Ausstellung zeigt.

Wolfgang Braun begleitete gestern Nachmittag die französische Künstlerin und Psychiaterin Francine Mayran in die Salvatorkirche, wo sie ihre ungewöhnlich Porträt-Ausstellung zeigt.

Foto: andreas probst

Am morgigen Sonntag wird in der Salvator-Kirche die Ausstellung zur Shoah von Francine Mayran eröffnet, die in der Kirche eine Woche lang besichtigt werden kann (die RP berichtete). Am Donnerstag, 28. Januar, 19 Uhr, findet in der Salvatorkirche ein Podiumsgespräch mit der Überschrift "Der Mensch des Menschen Wolf? - Die Shoah und ihr Schatten" statt. Möglich macht die Gedenkausstellung und die Diskussion die Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Mit dem Sprecher der Vereinigung, Wolfgang Braun, sprach Redakteur Peter Klucken.

Der 27. Januar ist seit 20 Jahren offiziell "Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft". Die Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" nimmt diesen Tag zum Anlass, "gegen das Vergessen" etwas zu tun. Diesmal wurde Francine Mayran eingeladen, ihre Shoah-Ausstellung ab Sonntag in der Salvatorkirche zu zeigen. Was sind die Hintergründe?

Braun In aller Offenheit: Wir haben in den letzten 15 Jahren - seit 2003 in der Salvatorkirche - am 27. Januar eine Gedenkveranstaltung durchgeführt, seit 2002 zudem einen Ökumenischen Gedenkgottesdienst in zeitlicher Nähe. Immer im Rahmen breiter Veranstaltergemeinschaften. Die Gedenkveranstaltungen wurden immer sehr anspruchsvoll gehalten, wir haben die Aufforderung von Roman Herzog, Aufklärung zu leisten, schon sehr ernst genommen. Über den Zuspruch konnten wir auch nicht klagen, zuletzt lagen wir am Gedenktag selbst beständig bei etwa 80 bis 100 Teilnehmern - im Ökumenischen Gedenkgottesdienst erreichten wir im Schnitt sogar 150 Personen. Trotzdem hatten wir mit Sicht auf die Gedenkveranstaltung schon länger den Eindruck: Es könnte sich totlaufen. Daher haben wir rechtzeitig einen Wechsel in der Veranstaltungsform vorbereitet - und haben eine überwältigende Unterstützung, vor allem auch der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Duisburg, gefunden.

"Gegen Vergessen" führt fast zwangsläufig bei so dunklen Kapiteln wie dem Nationalsozialismus in Deutschland zu zwei Betrachtungsweisen: Einer emotionalen und einer, bei der es um Information geht. Wie sehen Sie das?

Braun Verstandesbildung und Herzensbildung sind zweierlei, die eine hat nicht zwingend die andere im Gefolge. Genauso wenig wie der Arme ist der Belesene zwingend der Gute. Gerade die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts führt diese Binsenwahrheit geradezu grell vor Augen. Die Nationalsozialisten hatten zwar ihre Schlägerkolonnen, waren aber nicht bloß eine solche. Innerlich verroht - aber es waren nicht rohe Diamanten, sondern schlimmer: Es waren "Fehlschliffe". Über ihre furchtbare Leistungsfähigkeit und deren monströsen Ergebnisse reden wir heute noch. Werden nicht beide Ebenen, Gemüts- und Verstandesbildung, gleichermaßen sorgsam im Auge gehalten, dann besteht sogar die Gefahr, dass die pausenlose, oft schablonenhafte Thematisierung dieser Jahre als unfreiwilliger Beitrag zur Unterstützung der Nachfolgemilieus wirkt.

Wissensvermittlung allein schafft offenbar nicht "von selbst" tugendhafte Menschen?

Braun Der Mensch ist frei. Jeder kann deshalb auch die erhaltenen Informationen abweichend oder gegensätzlich zur gewünschten Botschaft interpretieren. So braucht sich ein unbefangener Mensch nur die Ströme von vergossenem Blut im vorigen Jahrhundert vor Augen zu führen: Ausgehend vom Nationalsozialismus nimmt er die innerrussischen und innerchinesischen Entwicklungen mit ihrem Blutzoll auf, dann den Armeniermord, die Schlächtereien an den Tutsis, die Unruhen im Zuge der Unabhängigkeit des britischen Kaiserreiches Indien, die Kommunistenverfolgung in Indonesien, die sonstigen inneren Konflikte in den neu gegründeten Staaten ... und zieht spontan eben den Schluss, der bei die Nazis die erklärte Prämisse ihres Handelns war: Was ist denn schon ein Genozid in der Menschheitsgeschichte? Ergo: "Der Mensch ist halt des Menschen Wolf!" Gemütsansprache und Wissensvermittlung, diese beiden Ebenen hatten wir von Beginn an im Auge. Nicht umsonst stand sehr früh neben der Gedenkveranstaltung ein Mahn- und Gedenkgottesdienst, der jetzt am 31. Januar, 16.30 Uhr, in der Kirche St. Joseph am Dellplatz stattfindet. Auch um einem versehentlichen Beitrag zur Verrohung vorzubeugen, haben wir zudem die Errungenschaften der Nachkriegsjahrzehnte immer wieder in den Mittelpunkt gerückt (...) Mit der bildenden Kunst sind wir diesen Weg nur weitergegangen.

Was erhoffen Sie sich von der Podiumsdiskussion am 28. Januar?

Braun Die Diskussion steht unter demselben Thema wie die Ausstellung. Das Werk von Frau Mayran, das in einem Ausschnitt gezeigt wird, macht dies auch inhaltlich möglich. Einerseits hebt sie die Sonderstellung der Shoah hervor, indem sie sich auch mit anderen Völkermorden auseinandersetzt, dem an den Armeniern, den Zigeunern, den Tutsis. Andererseits verdeutlicht sie die Singularität des Nationalsozialismus, indem sie alle "Opfergruppen" würdigt: nicht ausschließlich ermordete oder verfolgte Juden, sondern exemplarisch auch Sinti oder Roma, Homosexuelle, den politischen Widerstand ... Neben den Märtyrern erinnert sie auch an diejenigen, die versuchten, Hilfe zu leisten oder das Geschehene in Erinnerung zu halten. Dem Betrachter wird so nicht nur der politischen Rahmen vorgeführt, sondern auch die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten, die in diesen Jahren, aber auch in der Zeit danach bestanden.

Gibt es überhaupt keine unumstößlichen Lehren aus der Nazizeit?

Braun So wie die einen aus lauter kritischen Hinweisen zum Nationalsozialismus die Prämisse des Nazi-Standpunktes neu bilden, behaupten andere heute im Gegensatz apodiktisch, Gewalt löse keine Probleme. Dass dies, wenn es hart auf hart kommt, Selbstentwaffnung und Mitläufertum bedeuten würde, wird nicht begriffen. Denn diese unbedingte Ablehnung von Gewaltanwendung wurde am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der Nazis, widerlegt. An dem Tag war ein Menschheitsproblem gelöst. Unzweifelhaft, andere Menschheitsprobleme bestanden fort. Warum sich aber die Völker der Welt ihre grundsätzliche Bedrohtheit immer noch am Beispiel des Nationalsozialismus vor Augen halten, wäre Aufgabe der Diskussionsrunde: Warum ist und bleibt die Shoah die Mahnung für die Völker?

(RP)
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