Rp-Serie: Duisburger Geschichte Und Geschichten Die Arbeitslosenversicherung wird 90

Duisburg · Das Gesetz vom Juli 1927 sollte dazu führen, dass die Erwerbslosen nicht mehr auf die Erwerbslosenfürsorge der Städte und Gemeinden angewiesen sind. Die bald darauf einsetzende Massenarbeitslosigkeit machte den Reformwillen zunichte.

Weimarer Sozialpolitiker und Gewerkschaftler verabschiedeten am 16. Juli 1927 das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) - man feierte es stolz als letzten Meilenstein der in der Geschichte der deutschen Sozialversicherung. Die Erwerbslosen sollten nicht mehr auf die Erwerbslosenfürsorge der Städte und Gemeinden, die einem Almosen ähnelte, angewiesen sein. Die Beiträge an die "Reichsanstalt" wurden zu gleichen Teilen von den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern aufgebracht. Ein wichtiger Schritt für eine reichsweite Arbeitsmarktpolitik.

Die Erwerbslosen konnten sich bei dem neu geschaffenen Arbeitsamt Duisburg melden, um dort ihre Arbeitslosenunterstützung zu erhalten. Neue modern anmutende Aufgabenschwerpunkte bildete die Vermittlung, Berufsberatung und die berufliche Qualifizierung. Die optimistische Grundstimmung der damaligen Zeit zeigen die Bilder von der Einweihung des Arbeitsamtsgebäudes an der Ruhrorter Str. 110. Damals gingen die Experten bei der die Finanzierung der Versicherung von maximal 5 Prozent Erwerbslosenquote aus. Eine Fehlkalkulation mit dramatischen Folgen. Die Massenarbeitslosigkeit von reichsweit über sechs Millionen Arbeitslosen während der Weltwirtschaftskrise war zu diesem Zeitpunkt schlicht unvorstellbar.

Dabei gab es warnende Stimmen. Das geht aus einer Korrespondenz zwischen Außenminister Stresemann und seinem Parteifreund, dem Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres, hervor. Die durch kurzfristige Auslandsanleihen erreichte wirtschaftliche Festigung stand auf tönernen Füßen. Die Industrie erarbeitete mit Krediten die Steuerbeiträge zur Bezahlung der Kriegsschulden. Auch die Stadt Duisburg wies Auslandsschulden in Höhe von 12,6 Millionen Reichsmark auf. Wenn die "Amerikaner ihre kurzfristigen Kredite abrufen", befürchtete Stresemann im November 1928, "dann ist der Bankrott da".

Mit dem "Schwarzen Freitag" ein Jahr später nahm das Desaster seinen Lauf. Eine Wirtschaftsrezession von ungeahntem Ausmaß setzte mit Abzug der US-Kredite schlagartig ein. Die Rücklagen der Arbeitslosenversicherung der Reichsanstalt schmolzen dahin. Massive Kürzungen waren die Folge. Die meisten Arbeitslosen waren schon bald auf die Wohlfahrtshilfe der Kommune angewiesen. Die Stadt Duisburg sah sich nicht in der Lage, die explodierenden Sozialkosten (Wohlfahrtshilfe oder "Ausgesteuertenfürsorge" - ein Vorläufer von Hartz IV) aus eigenen Mitteln zu tragen. Die Gesamtverschuldung Duisburgs betrug 120 Millionen Reichsmark. Duisburg lag mit 35,4 Prozent Arbeitslosenquote an der Spitze aller Ruhrgebietsstädte. Absolut waren das 62.793 Menschen. Im Februar 1933 erhalten 44 Prozent der Bevölkerung Erwerbslosen- oder Wohlfahrtsunterstützung; die in der Folge laufend gekürzt wurde.

Arbeitslose bevölkerten Straßen und Parks oder standen Schlange vor den "Stempelbude" - ein Bild der Trostlosigkeit. Enttäuschung und Verdruss breiteten sich aus. Kampfappelle, Saalschlachten und Krawalle waren an der Tagesordnung. Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit trieben die Wähler schließlich in die Arme der Nationalsozialisten. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahr 1933 wurde die Reichsanstalt als Träger der Arbeitslosenversicherung "gleichgeschaltet". Hinter dem Begriff stand die Reorganisation alle Behörden nach den Vorstellungen des NS-Regimes zu reorganisieren. Die Entmachtung von Gewerkschaftsvertretern, die anteilig im Verwaltungsausschuss des Arbeitsamtes vertreten waren, erfolgte bald darauf . Das System der Selbstverwaltung wurde sofort abgeschafft. Die Arbeitsverwaltung hatte das Selbstverständnis einer sozialen und bürgerorientierten Einrichtung.

Dies alles änderte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die Arbeitsvermittlung wurde schrittweise umgewandelt in ein Instrument der Arbeitseinsatzpolitik. Die "Lenkung der Arbeitskräfte" zum Staatsprogramm erhoben. Das heißt: Der Arbeitseinsatz in Rüstungsbetrieben stand im Vordergrund. Das gigantische Rüstungsprogramm diente dem Beschäftigungsaufbau, aber um welchen Preis. Noch im ersten Jahr der NS-Herrschaft entließ man - nach dem “Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums„ - ca. 20 Prozent des Personals.

Darunter befanden sich vor allem Mitglieder der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien. Schlüsselpositionen wurden mit NS-Parteimitgliedern ("Alte Kämpfer") der ersten Stunde besetzt. Die "Säuberung" im Dienste der Exekutivgewalt hat in autoritären Regimen eine lange Tradition.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Gesetzgebung der Bundesrepublik zur Arbeitslosenversicherung im Geiste der Weimarer Republik. Heute verfügt die Bundesagentur über ein scheinbar hohes Rücklagenpolster von elf Milliarden Euro. Arbeitsmarktforscher warnen: "Die in den vergangenen Jahre sehr positive Arbeitsmarktentwicklung kann nicht als Normalfall gelten." Erfahrungen aus den vergangenen drei Rezessionen hätten gezeigt, dass die Bundesagentur zur Bewältigung von Wirtschaftskrisen rund 20 Milliarden Euro benötige.

Quelle: Das Ruhrgebiet im 19. und 20. Jahrhundert, H.G. Steinberg,

(RP)
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