Duisburg "Brexit" und "Sale" als Unworte

Duisburg · Der Wahl-Duisburger Robert Tonks, Verfasser lustiger Denglisch-Bücher und Vorsitzender der Deutsch-Britischen Gesellschaft, macht sich zum Jahresende Gedanken über teils kuriose, teils bedenkliche Sprachverwirrungen.

 Robert Tonks ist sein Humor ins Gesicht geschrieben.

Robert Tonks ist sein Humor ins Gesicht geschrieben.

Foto: Hohl

Im Laufe der letzten sechs Jahre habe ich eine schier endlose Vielfalt schräg verwendeter denglischer Werbesprüche fotografiert, mit Zeichnungen versehen und auf meiner Webseite sowie in kleinen Büchern veröffentlicht. Als meine Frau mich vor wenigen Tagen nach meinem persönlichen Unwort des Jahres fragte, vermutete sie, dass es dieser Denglisch-Sammlung entstammen werde. Dem ist aber keinesfalls so. "Mein Unwort des Jahres heißt BREXIT", sagte ich, "mehr Unwort geht kaum."

Dabei bleibt mein Unwort dieses noch jungen Jahrtausends 'Sale', der mit BREXIT erstaunliche Ähnlichkeiten aufweist. Sale ist ein Evergreen unter den Anglizismen in deutschen Schaufenstern, der in seiner Widerborstigkeit nur schwer zu schlagen ist. Er bedeutet eigentlich Schlussverkauf, wird aber Jahr ein, Jahr aus, landauf, landab, ganzjährig und nachhaltig missbraucht.

Als im Wahlkampf zu seiner ersten Amtszeit als US-Präsident Barack Obama die inzwischen legendäre Phrase "Yes, we can!" prägte, wird er kaum gedacht haben, dass Geschäftsleute in einem Einkaufszentrum in Duisburg seinen Slogan gegen Ende seiner zweiten Amtszeit in dem Werbespruch "Yes, we sale!" verunstalten würden.

"Autsch", schreit der Sprachpurist des Englischen, "selbst Amerikaner wissen, dass dieser Satz mindestens ein Verb haben muss. Wie wäre es mit "Yes, we can sell sale!" (= Ja, wir können ihn verkaufen, den Schlussverkauf)?

Mein erstes Buch über Denglisch "It is not all English what shines - English makes German Werbung funny!' wurde sogar von der hiesigen, inflationären und häufig schrägen Verwendung des Begriffs 'Sale' inspiriert. Darin veröffentlichte ich das Foto eines Schaufensters mit der Werbebotschaft 'Lingerie sale', was auf Französisch ausgesprochen dreckige Damenunterwäsche heißt.

Eines Tages fragte ich die 19-jährige Kirstin, die wie jeden Tag in die Stadt gepilgert war, um stundenlang zu shoppen, warum sie mit leeren Händen aber mit rotlackierten Riesenkrallen zurück kam. "Who cares?", fragte sie, "ich ging shoppen, weil ich zum Final-Mid-Season-Sale by Judy's Market 4 Kids einen Babybody für die Tochter meiner Freundin holen wollte, die Geburtstag feiert. Was war? No Body. Fack! Also ging ich zum Sale im Nagelstudio New York Glamour Nail Art nebenan und ließ mir zum Schnäppchen-Preis Daddy's-Little-Girl-Ivanka-Trump-Designer-Nails machen."

Wieso hat der Laden jetzt schon einen Sale, dachte ich, er hat doch erst letzte Woche eröffnet. Von wegen Schlussverkauf!

Das Shoppen wurde zur neuen Religion, ihre Sprache Englisch, oder so ähnlich. Das oberste Gebot lautet anscheinend: Wenn Du beim allerletzten Schlussverkauf mitten in der Saison Niemand (= nobody) triffst, schimpfe ruhig mit dem schlimmsten englischen Kraftausdruck überhaupt, aber hol' dir dann Zubehör wie die Tochter eines US-Präsidenten.

Übrigens: Die Verbreitung im Deutschen von 'Fuck' - meist schreibt man im Englischen 'f*ck' oder 'the f-word' - auf Denglisch auch 'Fack' geschrieben und ausgesprochen, ist Gegenstand meines vierten Buches, 'Der Denglisch-Master', das im Herbst 2017 erscheint. Unter anderem gehen wir darin der folgenden Frage nach: Wird allmählich 'Scheiße!", der Lieblingskraftausdruck der Deutschen, durch 'Fack!' ersetzt? Schimanski können wir dazu leider nicht mehr fragen.

Doch zurück zu meinem Unwort des Jahres, das ja auch ein Anglizismus ist, nämlich das Kunstwort BREXIT, das die Kurzform für den Austritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union ist. Für dieses Unwort sprechen meines Erachtens drei Gründe:

1. Ich fand den Begriff vor dem EU-Referendum am 23. Juni 2016 nicht zuletzt deswegen schwierig, weil er das Ergebnis voraussagte, präjudizierte, ja geradezu herbeiredete.

2. Ich finde das B-Wort aber auch deshalb schwierig, weil er den parlamentarisch-demokratischen Prozess banalisierte und heute noch banalisiert. "BREXIT is BREXIT", sagt Premierministerin May immer noch, ohne dass man sechs Monate nach dem Votum weiß, was das ist, ein veritables Unwort ohnegleichen also.

3. BREXIT ist wie 'Sale' bestenfalls eine leere widerborstige Worthülse, die sich hervorragend verkaufen lässt. Da BREXIT sonst noch keinen Inhalt hat, habe ich mir erlaubt, diese Lücke zu schließen. Vielleicht wird dann aus einem Unwort ein Wort.

BREXIT klingt wie die Abkürzung von 'Breakfast Biscuit' (=Frühstückskeks) BREXITs, die topmodernen nostalgischen britischen Frühstückskekse ... lecker ... am besten in den Geschmacksrichtungen: 'bacon & eggs' (Schinken und Eier) oder 'kippers' (geräucherte Heringe mit Haut und ohne Kopf).

(RP)
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