Duisburg Berührendes Stück über Verbrechen der NS-Zeit

Duisburg · Im Rahmen des Festivals "Spielarten" zeigte das Theater "mini-art" aus Bedburg-Hau im Komma-Theater "Ännes letzte Reise".

Wenn in einem Zuschauerraum voller Jugendlicher eine Stunde lang kein Mucks zu hören ist, dann muss das, was sich da auf der Bühne abspielt, wirklich gut sein. Und das war es auch: Das, was die Schauspieler des Theaters "mini-art" aus Bedburg-Hau gestern im Komma-Theater boten, war lehrreich, fesselnd und berührend zugleich. Gezeigt wurde im Rahmen des Festivals "Spielarten" das Theaterstück "Ännes letzte Reise". Die dokumentarische Fiktion setzt sich mit dem Thema Euthanasie im Nationalsozialismus auseinander.

Ausgangspunkt ist der Fall der Anna Lehnkering, genannt Änne, die 1915 in Sterkrade (Oberhausen) geboren wurde, ab 1936 Patientin in der Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau war und am 7. März 1940 in Grafeneck bei Stuttgart ermordet wurde. Das Handeln der beiden Schauspieler Crischa Ohler und Sjef van der Linden, die in verschiedene Rollen schlüpften, wurde mit biografischem und dokumentarischen Material angefüttert: Fotos von Änne und ihrer Familie, Auszüge aus ihrer Krankenakte, Zeilen aus Briefen an ihre Mutter oder Lautsprecherdurchsagen mit Goebbels' Stimme. Zusammen mit dem einfach gehaltenen Bühnenbild (Tisch, Stuhl, Kleiderständer) trugen diese Dinge dazu bei, dass sich die Zuschauer immer bewusst waren: Das erschütternde Schicksal hat sich tatsächlich so zugetragen.

Das junge Mädchen, das immer etwas langsamer war als andere, nicht alles verstand, was um es herum gedacht und gesagt wurde, das in der Schule nicht mitkam und von den anderen Kindern ausgelacht wurde, das Mädchen hat es tatsächlich gegeben. Sie wuchs zu einer jungen Frau heran, die während des NS-Regimes nicht mehr nur gehänselt, sondern kurzerhand als "schwachsinnig" eingestuft, aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zwangssterilisiert und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde.

Hier versuchte man erst gar nicht, sie zu verstehen, stufte sie als "weinerlich", "querulierend", "lästig" ein und überließ sie ihrem Schicksal – bis schließlich 1940 ein paar "hohe Herren aus Berlin" nach Bedburg-Hau kamen und kurz darauf Änne und mit ihr mehr als die Hälfte der Patienten abgeholt und "verlegt" wurden. "Verlegt" bedeutete in ihrem Fall abtransportiert ins Vernichtungslager, wo die Gaskammer auf sie wartete. Und das verkaufte der Anstaltsleiter auch noch als "Gnade für die Geisteskranken". Emotionslos schilderte er, wie gut man mit dem "Ansturm" zurechtkam: "Die Schornsteine haben Tag und Nacht gequalmt."

Änne schien das bis zum Schluss nicht zu verstehen. Und auch die Mutter hatte keine Ahnung. Wie alle Angehörigen, bekam sie einen "Trostbrief", in dem man sie mit einer glatten Lüge abspeiste: Man bedauere, ihre Tochter sei an einer Bauchfellentzündung verstorben.

Zu Beginn hatten die Schauspieler dem Publikum erklärt: "Wir leihen denen eine Stimme, die nicht mehr sprechen können." Das haben sie auf berührende Weise getan.

(RP)
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