Duisburg Alfred Grosser: "Es wird keinen Brexit geben"

Duisburg · Der berühmte französische Publizist überraschte bei seiner ersten Vorlesung als Mercator-Professor.

 Alfred Grosser bei seiner ersten Vorlesung in Duisburg.

Alfred Grosser bei seiner ersten Vorlesung in Duisburg.

Foto: UDE/eventfotograf.in

Bei Vorhersagen halte er sich üblicherweise zurück, sagte Alfred Grosser gegen Ende seiner ersten Vorlesung als Mercator-Professor im Audimax der Universität in Duisburg. Er sei schließlich Politologe, so der berühmte Publizist auf seine einzigartige Weise ironisch schmunzelnd, und Politologen sagten im Nachhinein immer, was man vorher hätte wissen müssen. Aber eine Prophezeiung wolle er doch wagen: "Es wird am Ende keinen Brexit geben."

Es werde sich nämlich herausstellen, dass der Ausstieg der Briten aus der EU zu so vielen Nachteilen führen kann, dass es in zwei Jahren zu einem neuen Referendum kommen werde, in der sich die Briten mehrheitlich für den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft aussprechen werden.

Seine Vorlesung stellte der berühmte französische Publizist, der ungeachtet seiner 92 Lebensjahre geistig vollkommen frisch auftritt, unter die Überschrift: "Was ist Europa: Gestern, Heute und Morgen". In meist freiem Vortrag durchlief er rednerisch ein riesiges Themenfeld. Zunächst blickte er auf die Väter der Europäischen Gemeinschaft zurück, die er zum großen Teil noch persönlich kannte. Nebenbei räumte er auch mit einigen schönen Allgemeinplätzen auf, beispielsweise dem, dass Adenauer und de Gaulle eine innige deutsch-französische Freundschaft gepflegt hätten. Vielmehr sei es darum gegangenen, einen Gegenpol zu den USA zu bilden.

Der freien Rede war geschuldet, dass Grosser vom Hölzchen aufs Stöckchen kam. Dafür sprach er ungemein viele Aspekte auf bisweilen höchst originelle, oft auch sehr kritische Weise an. Zwar stellte er immer wieder Errungenschaften des gemeinsamen Europas heraus, zu denen er auch den Euro zählte, doch geißelte er in scharfen Worten Zaghaftigkeiten, den Einfluss der Industrie auf die Europapolitik und einige Kuriositäten im Sozialwesen. Zu den schlimmen Verfehlungen gehört nach Grossers Meinung beispielsweise das endlose Verfahren um das Schädlingsbekämpfungsmittel Glyphosat, das im Verdacht steht, gesundheitsschädlich zu sein.

Beim gegenwärtigen Konflikt Spanien-Katalonien warf er Madrid eine zu unversöhnliche Haltung vor. Belgien könne da als Vorbild für eine Lösung des Konflikts dienen, schließlich kämen die Flamen und Wallonen mittlerweile auch irgendwie miteinander aus.

Sorge mache ihm derzeit der Wahlerfolg der Rechten in Österreich. Die Haltung der neuen Regierung erschwere eine gemeinsame europäische Haltung. Als vorbildlich hob er Angela Merkels Entscheidung hervor, den vor zwei Jahren festsitzenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland gestattet zu haben. Grosser: "Frau Merkel hat eine moralische Entscheidung getroffen und gezeigt, dass Politik und Moral zusammengehören."

Nach der Vorlesung stellte sich Grosser, klug moderiert von Uni-Rektor Ulrich Radtke, einigen Fragen. Unter den Zuhörern war auch Alice Schwarzer, die vor einigen Jahren ebenfalls eine Mercator-Professur an der Uni Duisburg-Essen übernommen hatte.

Auf ihre Frage, ob man für Putin Verständnis haben könne, schließlich habe sein Land durch den von Deutschen verursachten Krieg 20 Millionen Tote beklagen müssen, meint Grosser sehr scharf: "Putin ist ein Mörder. Man darf nicht sagen, Putin ist weniger furchtbar, weil es die deutsche Vergangenheit gegeben hat."

Locker erwiderte Grosser die Frage von Rektor Radtke, wie man die Jugend für Europa begeistern könne. Grosser: "Ich bin gegen Begeisterung. Ich bin für warme Vernunft." Und da hoffe er schon auf die Jugend.

Am 22. November, 18 Uhr, hält Grosser seine zweite Vorlesung als Mercator-Professor, diesmal im Audimax auf dem Essener Uni-Campus. Dann geht es um "Wahlen - Hoffnungen und Wirklichkeit in Deutschland und Frankreich".

(pk)
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