Düsseldorf Zeitzeuge berichtet von Pogromnacht

Düsseldorf · In einer bewegenden Gedenkfeier zum 9. November 1938 erzählte Simha Arom, was er damals als Achtjähriger in Düsseldorf erlebte. St.-Ursula-Schüler trugen ihre Gedanken dazu vor.

Düsseldorf: Zeitzeuge berichtet von Pogromnacht
Foto: Stadt Düsseldorf/Melanie Zanin

In der Pogromnacht, der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, verwüstete eine grölende Meute die Wohnung der Familie Arom an der Karlstraße. Sie warf ihre Habseligkeiten aus dem Fenster auf die Straße. "Möbel, Betten, Geschirr, Zahnbürsten - alles", berichtete Simha Arom gestern bei der Gedenkfeier im Plenarsaal des Rathauses. Es war eines von unzähligen Verbrechen dieser Nacht. 78 Jahre ist das her. Doch für Simha Arom ist es, "als wäre es gestern gewesen." Dass er zum Gedenken an den Tag in seine Geburtsstadt Düsseldorf zurückkam, um davon zu erzählen, mutete ihm "surreal und ganz unglaublich" an.

Dass es nach wie vor eine dringende Notwendigkeit ist, seine Erinnerungen zu teilen, erlebte Arom erst kürzlich. Der berühmte Musikwissenschaftler lebt mit seiner Frau in Paris. "Ich vermeide es, deutsch zu sprechen. Weil ich dann immer mein Leben erzählen muss," sagt er. Als das Paar auf einer Fahrt durch die Schweiz einen Anhalter mitnahm, einen Musikstudenten aus Leipzig, tat er es doch. Seine Geschichte erstaunte den Studenten. 1939 flüchtete seine Familie nach Belgien und Frankreich. Sein Bruder Eduard und er überlebten, die Eltern David und Liebe Arom wurden in Auschwitz ermordet. "Nun, dann ist es ja doch wahr", sagte der junge Mann, der in Ostdeutschland aufgewachsen war. Wie der Student eine verbreitete Meinung in Ostdeutschland in Worte gefasst hatte, erschüttert Arom. Angesichts des wiedererstarkenden Rechtsextremismus betonte Landtagspräsidentin Carina Gödecke in ihrer Rede, wie wichtig das Erinnern an die Opfer ist, wachsam zu sein und gegen Unmenschlichkeit vorzugehen. Odes Horowitz, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf fragte, wie Historiker eines Tages das Aufkommen von Pegida und Dügida erklären werden. Und schließlich legten Schüler des St.-Ursula-Gymnasiums ihre Gedanken eindringlich dar. Ein Schüler wies darauf hin, dass am Tag nach der Pogromnacht in Düsseldorf St. Martin gefeiert wurde, das christliche Fest der Nächstenliebe. Beim Martinsfeuer abgefackelt wurde auch das Mobiliar der jüdischen Bürger. "Gibt es ein besseres Beispiel für Zynismus und Unmenschlichkeit?", fragte er. Anders als in der Diktatur müsse man in der Demokratie kein Held sein, um gegen Unmenschlichkeit Stellung zu beziehen, sondern ein mündiger Bürger. Wichtig sei es, alles dafür zu tun, dass Unmenschlichkeit nicht die Oberhand gewinnt. "Lasst uns dafür kämpfen." Oberbürgermeister Thomas Geisel bedankte sich für Aroms Besuch und erinnerte an die Sprache des Hasses. Wörter wie "Lügenpresse", "völkisch" und "Volksverrat" bahnten damals Gewalt den Weg. Wörter, die wieder zu hören sind. "Sich als demokratische Zivilgesellschaft dem entgegenzustellen, sind wir Ihnen, den Schülern, uns allen schuldig."

(RP)
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