Antje Schuh "Wir sind gegen Einheitsschulen, Eltern müssen wählen können"

Düsseldorf · Seit einem halben Jahr ist Antje Schuh (53) Vorsitzende der Elternschaft Düsseldorfer Schulen (EDS). Zum Volksbegehren "G 9 jetzt" geht sie auf Distanz, für den Schulbau würde sie Kredite aufnehmen.

 Antje Schuh sagt: "Addiert man den Unterrichtsausfall, gehen unsere Schüler eigentlich nur sechs oder sieben Jahre aufs Gymnasium."

Antje Schuh sagt: "Addiert man den Unterrichtsausfall, gehen unsere Schüler eigentlich nur sechs oder sieben Jahre aufs Gymnasium."

Foto: Andreas Endermann

Frau Schuh, die von der EDS und anderen Eltern-Verbänden im Land heftig kritisierte Schulministerin Sylvia Löhrmann wurde wie die rot-grüne Landesregierung insgesamt abgewählt. Haben Sie am Wahlabend vor dem Fernseher die Sektkorken knallen lassen?

Schuh (lacht) Als Interessenvertretung für alle Düsseldorfer Eltern, deren Kinder eine Schule besuchen, sind wir parteipolitisch neutral.

Auch unter einer nun wahrscheinlichen schwarz-gelben Landesregierung wird das Thema des acht- oder neunjährigen Gymnasiums, also G 8/G 9, ein Dauerbrenner bleiben. Haben Sie das Volksbegehren "G 9 jetzt" bereits unterschrieben?

Schuh Nein.

Warum nicht?

Schuh Als EDS sehen wir den Text des Begehrens kritisch. Er ist ja als künftiger Gesetzestext ausformuliert und würde in der vorgelegten Fassung andere Schulformen benachteiligen. Das lehnen wir ab.

Warum würden denn andere benachteiligt?

Schuh Beispielsweise würden Stundenzahlen an den Gesamtschulen reduziert.

Scheitert das Begehren, bleibt die Entscheidung über G8/G9 wahrscheinlich an den Schulen hängen.

Schuh Und das möchten wir auf keinen Fall, weil es an den einzelnen Schulen zu Chaos führen würde. Es muss eine durchdachte Lösung auf Landesebene für ganz Nordrhein-Westfalen geben - für die Ballungszentren Köln, Bonn, Dortmund, Münster, Düsseldorf auf der einen und für die ländlicheren Bereiche auf der anderen Seite.

Ihre ältere Tochter Charlotte (17) macht gerade Abitur, und Franzi, die Jüngere, geht in die achte Klasse eines Gymnasiums. Was sagen die beiden?

Schuh Die wollen auf keinen Fall noch ein Jahr länger zur Schule gehen und sind unter dem Strich mit der verkürzten Schulzeit klar gekommen. Aber da spreche ich jetzt wirklich über unsere persönlichen Erfahrungen.

Die künftige NRW-Regierung muss nun beim mit wahlentscheidenden Thema Schule und Bildung liefern. Was fordert die EDS?

Schuh Mehr Geld für das Bildungssystem, die Erarbeitung anständiger Lehrpläne und vor allem darf nicht mehr so viel Unterricht ausfallen.

Mehr Geld klingt ja immer gut. Aber wohin sollen die zusätzlichen Mittel denn fließen?

Schuh Es ist hanebüchen, wie viel Unterricht ausfällt. Statt von G 8 sollten wir lieber von G 6 oder G 7 sprechen. Denn wenn man die ausgefallenen Stunden zusammenrechnet, gehen unsere Kinder netto eigentlich ein bis zwei Jahre weniger zur Schule.

Wie kommen Sie auf eine solche Rechnung?

Schuh Ehrliche Statistiken des Landes gibt es ja nicht. Da wird an irgendeinem Stichtag etwas nach nicht ganz klaren Kriterien erfasst, und plötzlich steht eine Zahl wie 1,8 Prozent im Raum. Dagegen spricht die Alltagserfahrung vieler Eltern.

Haben Sie Daten erhoben?

Schuh Es gab vereinzelt Eltern, die für die Klasse ihres Kindes ein paar Wochen oder Monate lang Excel-Tabellen geführt haben. Und die kamen auf bis zu 20 Prozent Ausfall.

Aber einige Schulen verfügen doch angeblich über 120 Prozent Personaldeckung...

Schuh Das mag auf dem Lande vielleicht so sein, aber ich kenne im Ballungsraum Düsseldorf keine Schule, die die Hände hoch reißt und sagt: Wow, wir haben zu viele Lehrer.

Düsseldorf steht wegen sehr dynamisch wachsender Schülerzahlen beim Ausbau der Schulen vor gewaltigen Herausforderungen. 600 Millionen Euro werden bis 2023 in den Aus- und Neubau von Schulen investiert. Gibt es trotzdem Kritikpunkte?

Schuh Man sollte nicht das Haar in der Suppe suchen. Die Dinge gehen voran, das sieht jeder, der mit offenen Augen durch die Stadt geht. Was allerdings nicht geht, ist, dass die Kosten von mehr als einer halben Milliarde Euro beinahe komplett an Düsseldorf hängenbleiben. Das dafür mitverantwortliche Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern muss aufgehoben werden. Wir fordern in diesem elementaren Bereich der Daseinsvorsorge eine Form der Finanzierung, an der auch der Bund beteiligt ist.

Gerade weil es um so viel Geld geht, tobt ein heftiger Streit um die Finanzierung. Die Entscheidung, ob die Stadt die Immobilien nach Fertigstellung kauft oder doch langfristig von ihren Töchtern mietet, wurde erst einmal verschoben. Um zu kaufen, müssen Einnahmen erzielt werden, die es noch nicht gibt, beispielsweise aus dem Verkauf des Kanalnetzes oder des Flughafengrundstücks.

Schuh Oder man nimmt Kredite auf.

Aber das will doch niemand.

Schuh Vor allem will es die FDP nicht und deshalb folgen die anderen in der Ampel-Kooperation. Ich halte diese Diskussion für unehrlich. Düsseldorf war schon früher nicht schuldenfrei, man hatte die Schulden geschickt bei den Stadttöchtern versteckt. Um es klar zu sagen: Schulen müssen gebaut und sie müssen finanziert werden. Und ich halte es ökonomisch und politisch für vertretbar, dafür Kredite mit fast null Prozent Zinsen aufzunehmen.

Wird es in zehn Jahren in Düsseldorf noch Förderschulen geben?

Schuh Ja. Denn wir haben eine Reihe von Kindern mit multiplen Behinderungen oder starkem geistigen Handicap, die einen besonderen Ort brauchen, um optimal gefördert zu werden. Grundsätzlich sind wir allerdings gegen die Exklusion von Kindern aus dem Regelschulsystem. Wie hat Richard von Weizsäcker gesagt: Es ist normal, verschieden zu sein. Ich habe als EDS-Vorsitzende auch noch nie gehört, dass sich ein Schulleiter über Inklusionskinder beschwert. Wohl aber über fehlende Ausstattung und Sonderpädagogen.

Apropos. Wie viele Schulformen werden in Düsseldorf Bestand haben?

Schuh Ich hoffe alle. Von einem Zwei-Säulen-Modell mit Gymnasien auf der einen und Gemeinschaftsschule auf der anderen Seite halten wir als EDS nichts. Nehmen wir als Beispiel unsere Realschulen. Die leisten hervorragende Arbeit und es ist bedauerlich, dass es sie in vielen Städten und Kreisen gar nicht mehr gibt. Wir setzen klar auf Wahlfreiheit und nicht auf eine mögliche Annäherung an die Einheitsschule.

Angenommen, sie wären plötzlich Schuldezernentin im Rathaus. Was stünde auf ihrer Agenda weit oben?

Schuh Die Neuausrichtung des Masterplan Schulen mit seinem Jahresetat von rund 30 Millionen Euro für reine Sanierungsarbeiten stünde da. Es muss endlich transparente Listen mit Prioritäten für die einzelnen Projekte und eine daran gekoppelte zuverlässige Zeitplanung geben. Für die Schulgemeinden ist so etwas enorm wichtig.

JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort