Marion Ackermann "Wir nehmen Nordafrika zu wenig wahr"

Düsseldorf · Die Direktorin der Kunstsammlung NRW ist mit vielen Anregungen von einer kulturellen Reise in den Maghreb zurückgekehrt.

 Marion Ackermann bereiste mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Maghreb.

Marion Ackermann bereiste mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Maghreb.

Foto: dpa

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte die Direktorin der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW, Marion Ackermann, darum gebeten, an einer Reise nach Marokko, Tunesien und Algerien teilzunehmen. Im Interview zieht sie eine Bilanz dieser kulturpolitischen Unternehmung.

Warum hat der Außenminister Sie gebeten, ihn als Mitglied einer Kulturdelegation nach Marokko, Tunesien und Algerien zu begleiten?

Ackermann Es ist ein interessanter Ansatz des Außenministers, der Kultur eine wichtige Rolle beizumessen in Ländern, die gerade im Umbruch sind, die Träume und Traumata zu verarbeiten haben. Wer sich gerade damit befasst, seine Identität neu zu definieren, für den ist die Kultur immens wichtig. Ich glaube, dass Herr Steinmeier auf mich gekommen ist, weil wir seit einiger Zeit dazu übergegangen sind, die Kunst sensibler in einem globalen Kontext zu erzählen.

Zum Beispiel?

Ackermann Denken Sie an das in den vergangenen Wochen in der Kunstsammlung realisierte Projekt des ägyptischen Video-Künstlers Wael Shawky, mittelalterliche Kreuzzüge aus arabischer Sicht darzustellen. Mit der Umkehrung der Perspektive reagieren wir auch auf die Veränderungen in unserem Publikum, das natürlich multikultureller geworden ist. Wir wollen weg von der eindimensionalen Vermittlung. Dabei helfen uns auch die viel offeneren narrativen Formen, wie sie die arabischen Länder kennen. So lassen sich selbst altbekannte Werke unserer Sammlung ganz anders mit den Menschen verknüpfen.

Was haben Sie davon in Marokko entdeckt?

Ackermann Film und Fotografie spielen eine große Rolle. Es geht um die Frage "Was ist ein Bild?" - und dies gilt sowohl für das künstlerische als auch für das mediale Bild. Diese kritische Auseinandersetzung suchen wir auch in unserer Medienwerkstatt für junge Menschen im K21.

Die muslimischen Künstler fragen auch nach Karikaturen?

Ackermann Ja, nach Karikaturen genauso wie nach Fotografien. Ihnen geht es um die Bedeutung, die Bilder für eine Gesellschaft haben, um einen kritischen Diskurs und die Möglichkeit eines offenen Denkens. Sie fragen auch nach ganz praktischem Knowhow, wie sie an die europäischen Strukturen anknüpfen können. Die Maghreb-Länder sind traditionell französisch dominiert. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass die jüngere Generation stark auf der Suche ist auch nach neuen Partnern in Deutschland.

Ist das auch in Tunesien, dem Ursprung des arabischen Frühlings, zu spüren?

Ackermann Dort gibt es schon eine reizvolle Zusammenarbeit zwischen dem Bardo-Museum in Tunis und dem Goethe-Institut, die gemeinsam eine Ausstellung zur Tunis-Reise im Jahr 1914 von Klee, Macke und Moilliet gemacht haben. In dem Umfeld prachtvoller Mosaike haben sich die heutigen tunesischen Künstler sehr intensiv mit dieser Kulturbegegnung vor hundert Jahren auseinandergesetzt. Im Ausstellunghaus "Maison de l'Image" in Tunis bereitet ein mutiges Team gerade eine Schau mit dem tunesischen Karikaturisten Z vor. Es ist dort eine unglaubliche Aufbruchsstimmung zu spüren, aber auch ein Ringen um die eigene Identität - ein fantastischer Moment, um zu einem Austausch zu kommen.

Auch mit Deutschland?

Ackermann Gerade mit uns. Die Zahl der Tunesier, die Deutsch lernen, ist sprunghaft angestiegen. Sie haben ein besonderes Interesse an unserem Land. Zugleich gibt es eine sehr selbstbewusste, sehr avantgardistische und sehr freie Kunstszene. Das nehmen wir in Deutschland viel zu wenig wahr.

Was bringen Sie mit nach NRW?

Ackermann Wir werden die neuen Netzwerke sicherlich für unser kuratorisches Team nutzen. Wundern Sie sich nicht, wenn in den nächsten Jahren das ein oder andere Projekt aus den Maghreb-Ländern in der Kunstsammlung auftaucht. Einige dieser wunderbaren Künstler möchte ich zu unseren "Futur 3"-Vortragsabenden einladen. Und sicherlich werden die Künstler des Maghreb eine Rolle spielen, wenn es darum geht, unsere unmittelbare Vorgeschichte der künstlerischen Moderne einmal anders zu erzählen. Für die Flüchtlinge, die unter uns leben und aus arabischen Ländern kommen, entwickeln wir gerade ein eigenes Programm. Daraus lernen auch wir, sensibler und komplexer mit Kunst umzugehen und die Komplexität der Welt besser zum Ausdruck zu bringen.

Haben Sie auch über das Thema NRW-Kunst-Verkauf gesprochen?

Ackermann Das haben wir während der Reise nicht thematisiert.

Sind Sie froh über das Verkaufs-Moratorium?

Ackermann Ja, das ist grandios. Denn das gibt uns die Gelegenheit, alles sorgfältig zu prüfen. Die Kunstsammlung der damaligen WestLB ist ja auch nicht in einem Jahr aufgebaut worden.

GREGOR MAYNTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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