Düsseldorfer Geschichten Die verwundeten Orte

Düsseldorf · Wir haben sie nicht gekannt. Und doch werden wir immer wieder an sie erinnert: Menschen, die auf den Straßen unserer Stadt starben.

Erinnerungen an Unfallopfer in Düsseldorf
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Erinnerungen an Unfallopfer in Düsseldorf

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Efeu hat den Gedenkstein an der Reichswaldallee längst überwuchert, an dem ein Kreuz mit seinem Namen steht. Vor sieben Jahren ist Marc hier aus dem hochmotorisierten Sportwagen geschleudert worden, den ein Schulkamerad nicht unter Kontrolle hatte. Der 18-Jährige, der den 480-PS-Wagen seines Vaters unerlaubt nutzte, hat deshalb Sozialstunden leisten müssen. Für Marc, der auch 18 Jahre alt gewesen ist, legen Freunde und Familie noch immer frische Blumen vor das Kreuz. Immer brennt auch eine Kerze an der Gedenkstätte.

Es gebe "einige" davon, heißt es beim Amt für Verkehrsmanagement, und dass dort die Zahl der so genannten Unfallkreuze im Stadtgebiet nicht bekannt ist, mag damit zusammenhängen, dass es sie eigentlich nicht geben darf. Doch diese Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung werden stillschweigend geduldet, sofern sie keine Gefährdung darstellen.

Das Holzkreuz für Frank, den Notarzt, der mit dem Motorrad auf dem Weg zur Arbeit war, als er mit dem abbiegenden Auto einer alten Dame kollidierte, steht deshalb einige Meter abseits der Unfallstelle an der Vennhauser Allee. Für Franks Eltern ist es ein wichtiger Ort, der ebenso gepflegt wird wie sein Grab.

Vor allem, wenn ein Unfall nicht eindeutig aufgeklärt werden kann, sind die Gedenkorte von großer Bedeutung für die Hinterbliebenen, sagt Trauerbegleiter Claus Frankenheim. "Sie sind dann wie ein Fingerzeig, ein Mahnmal, das an die unbeantwortete Frage nach dem Warum erinnert."

Das Kreuz für Markus an der Münchener Straße ist so eines. Er war 33 Jahre alt, als er im Januar 2007 mit seinem Golf auf dem Weg zu seiner Familie war. Mit hohem Tempo war ein Falschfahrer mit seinem Fiat in ihn hineingerast. Auch der kam dabei ums Leben, und den Ermittlungen zufolge hat er den Tod gesucht, als er in Gegenrichtung auf die Schnellstraße fuhr. Ein grausamer Zufall, dass Markus gerade dort gewesen ist.

"Verwundete Orte" nennt Christine Aka solche Unfallstellen. Die Kulturanthropologin aus Münster hat sie wissenschaftlich untersucht und so etwa herausgefunden, dass die Erinnerungsstätten sehr häufig vom Freundeskreis der tödlich Verunglückten geschaffen werden. Nicht selten dienen sie als Treffpunkt, anfangs, um gemeinsam das Unglaubliche besser begreifen zu können, später, um gemeinsam zu trauern.

So ist es auch an der Dreherstraße gewesen, wo im Mai wochenlang Freunde von Dominick zusammenkamen. Der 26-Jährige war bei einer nächtlichen Spritztour aus dem Cabriolet eines Freundes geschleudert worden und an der Unfallstelle gestorben. Fotos, Plüschtiere und Fortuna-Devotionalien erinnern an das Leben, aus dem er gerissen wurde.

Die Trauerorte der Menschen haben sich seit den späten 1980er Jahren verändert, sagt Claus Frankenheim. Der Friedhof verliere für viele diese Bedeutung, während der Platz, an dem der Freund oder Angehörige zuletzt lebendig gewesen ist, an Gewicht gewinnt, oft sorgfältig und liebevoll gepflegt wird. Frankenheims Bestattungshaus ist auch schon mit der Gestaltung solcher Kreuze beauftragt worden. Der Unterschied zum Grabkreuz: "Aufgestellt werden sie immer vom engeren Umfeld des Verstorbenen."

Auch wenn hierzulande die so genannten Unfallkreuze erst seit etwa 20 Jahren zum Straßenbild gehören, folgen sie doch einer alten Tradition, die vor allem in katholischen Regionen schon Mitte des 19. Jahrhunderts gepflegt wurde. Dahinter steht die religiöse Überzeugung, dass Unfallopfer, die ohne die Sterbesakramente zu Tode kommen, besonderer Gebete bedürfen. Und dazu fordern die alten Wegekreuze auf.

Die modernen Unfallkreuze haben - vom christlichen Kreuzsymbol einmal abgesehen - weniger mit Religiosität zu tun. Wissenschaftlerin Aka glaubt, dass vor allem jüngere Menschen den alten Brauch aufgreifen, um sich auf eigene Art mit der Trauer um einen geliebten Menschen auseinanderzusetzen. Der Trauerort an der Unfallstelle verändere sich über die Jahre, was sie als Zeichen eines Trauerprozesses wertet. Claus Frankenheim sieht darin aber auch die Gefahr, dass dieser Prozess verlangsamt wird, wenn er vom Friedhof an einen Alltagsort verlagert wird. "Das Loslassen wird schwieriger, wenn man jeden Tag aufs neue an den Unfall und den Tod erinnert wird."

Vielleicht auch deshalb verschwinden manche dieser Unfallkreuze nach einiger Zeit wieder. So wie am Hellweg, wo im Sommer 2010 ein Motorrad- und ein Autofahrer bei einem Zusammenstoß ums Leben kamen. Ihre Angehörigen haben einige Jahre die Unfallstelle mit Blumen und Kerzen geschmückt. Inzwischen erinnert dort nichts mehr an den Zusammenstoß - auch wenn die Opfer für ihre Freunde und Familien unvergessen bleiben.

Die Trauerorte sind nicht unumstritten. Auch in Düsseldorf gibt es, nicht zuletzt in Kreisen der Feuerwehr, Kritiker, die vor Ablenkung durch die Kreuze und das Beiwerk warnen. In Paderborn, wo die Polizei seit Jahren selbst tödliche Unfallstellen mit weißen Holzkreuzen markiert, hat man tatsächlich aber festgestellt, dass sie Autofahrer zur Vorsicht mahnen. Verkehrsprävention aber spielt für die Angehörigen sicher die geringste Rolle.

(RP)
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