Pempelfort Ein Fall für den Porzellan-Doktor

Pempelfort · In der Klinik von Herbert Vierth sieht es wie in einer Schneekugel aus. Wenn er Notfälle behandelt, klingt es aber wie beim Zahnarzt.

 Herbert Vierth kümmert sich um einen Notfall-Patienten, dieses mal ist es ein Bär, der gerade noch die Ohren geschliffen bekommt.

Herbert Vierth kümmert sich um einen Notfall-Patienten, dieses mal ist es ein Bär, der gerade noch die Ohren geschliffen bekommt.

Foto: anne Orthen

Bei Herbert Vierth sieht es meist aus wie in einer Kugel, die man geschüttelt hat und in der der Schnee langsam rieselt. Staubwolken und -partikel schweben durch den Raum und legen sich dann gemächlich über einen der vielen Behandlungstische oder fast deckenhohen Regale. Leise geht es dabei allerdings nicht zu, denn wenn sich der Porzellan-Doktor - zwar ohne Kittel, dafür aber mit Mundschutz - um einen Notfall-Patienten kümmert, greift er nach Bohrer und Schleifer. Und dann dauert es nicht lange, bis Porzellan-, Glas-, Marmor- oder Gips- und Alabaster-Teilchen durch den Raum schwirren und es so laut ist wie in einer Zahnarzt-Praxis.

 Früher richtete Vierths Vater auch Gaststätten mit Antiquitäten ein. Heute hat der Laden etwas von einem Museum, in das sich kaum jemand verirrt.

Früher richtete Vierths Vater auch Gaststätten mit Antiquitäten ein. Heute hat der Laden etwas von einem Museum, in das sich kaum jemand verirrt.

Foto: ünlü

In der Notfall-Ambulanz von Herbert Vierth herrscht Hochbetrieb, und wie in einer echten gibt es nicht nur schwere, komplizierte, sondern auch viele Bagatell-Fälle. Die Nase der antiken Jesus-Figur ist repariert, der zerbrochene Teller aus einem geerbten Porzellanservice sieht wieder aus wie neu, die Lieblings-Kaffeetasse hat wie früher einen Henkel, die zerbrochene Meissen-Figur wieder eine Waage in den Händen, und die fast 60.000 Euro teure Vase, die versehentlich umgeworfen worden war, sieht aus, als ob sie nie Opfer eines Unfalls geworden wäre. Selbst der riesige Kronleuchter, den ein Russe vorbeigebracht hatte, hat jeden seiner schier unzähligen Glasarme in verschiedenen Reihen zurück. "Die Kunden bringen uns eben ihre Lieblingsstücke", sagt Vierth. Manchmal hätten sie einen materiellen Wert, manchmal vor allem einen ideellen. So wie der Frosch, der vielleicht für 15 Euro in irgendeinem Bau- oder Geschenkmarkt für 15 Euro gekauft wurde, aber für mehr als 100 repariert wird.

"Porzellan zu reparieren, ist kein Lehrberuf", sagt Vierth. Man könne zerbrochenes "nicht einfach zusammenkleben". Jeder Fall liege anders und brauche daher eben eine besondere Behandlung. Von seinem Vater Hans-Heinrich Vierth, der die Porzellan-Klinik vor circa 70 Jahren mit einem Freund in Hamburg gründete, danach ins Rheinland zog, weil der Markt im Norden zu klein war, hat sich der Sohn einiges abgeschaut. Manchmal gehe es aber auch nicht nur um handwerkliches Geschick, sondern um detektivische Arbeit. "Einmal kam ein Kunde, stellte mir eine Meissen-Figur auf den Tisch und fragte: ,Was fehlt?'". Da stöberte Vierth in unzähligen Katalogen und Datenbanken, bis er endlich herausfand, wie die filigrane Porzellan-Figur vor einigen Jahrzehnten ursprünglich bei sich trug, nämlich Rebhühner.

Eigentlich ist Herbert Vierth Diplom-Ingenieur für Nachrichtentechnik. 1987 stieg er in das väterliche Geschäft ein. "Ich musste mich entscheiden, ob ich in der Industrie einen Job annehme oder im Familienbetrieb, und dann habe ich mich für die Porzellanklinik entschieden. Hier wird es nie langweilig." Früher fuhr sein Vater sogar raus zu den Notfallpatienten, zum Beispiel zu "Franzen", nahm sie mit in die Klinik und brachte sie verarztet zurück. Heute werden die Patienten zu ihm an die Kaiserstraße 28 gebracht, wo sie dann oft von einer anderen Expertin behandelt werden: einer Keramikmalerin.

Die Diagnose "unheilbar" stellt der Porzellan-Doktor eigentlich nie. Zu gern experimentiert Vierth mit unterschiedlichen Instrumenten, Materialien und Techniken, um zerbrochenes wieder heil zu machen und damit den Besitzer und auch sich selbst zufrieden zu stellen. Und dann sieht in der Klinik wieder aus wie in einer Schneekugel, die gerade geschüttelt wurde.

(semi)
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