Oberbilk Flüchtlingen eine Stimme geben

Oberbilk · Das Theaterprojekt "Dorthin wo Milch und Honig fließen" beschäftigt sich auf ungewöhnliche Art mit dem Thema Flucht: Ausgestattet mit Audio-Guides erfahren Teilnehmer bei einer Tour durch Oberbilk mehr über Biographien.

 Martin Block und Christiane Bröckling lesen nach, welche Wünsche andere Zuschauer auf Zetteln in Bäume gehängt haben. Ihre Audio-Guides leiten sie im Theaterprojekt "Dorthin wo Milch und Honig fließen" von Ort zu Ort.

Martin Block und Christiane Bröckling lesen nach, welche Wünsche andere Zuschauer auf Zetteln in Bäume gehängt haben. Ihre Audio-Guides leiten sie im Theaterprojekt "Dorthin wo Milch und Honig fließen" von Ort zu Ort.

Foto: Andreas Endermann

Drastische Worte des Schriftstellers Max Frisch schmettern die Schauspieler den Zuschauern entgegen, wenn diese den kleinen Platz an der Sonnenstraße erreichen: "Flüchtlinge liegen auf allen Treppen, und man hat den Eindruck, sie würden nicht aufschauen, wenn mitten auf dem Platz ein Wunder geschähe; so sicher wissen sie, dass keines geschieht." Mitten in Oberbilk hängen hier Zettel mit guten Wünschen an den "unbekannten Flüchtling" in den Bäumen - der für viele eben genau das bleiben wird: unbekannt, eine weitere anonyme Zahl.

Nur eine von vielen Stationen, die die Zuschauer des Theaterprojekts "Dorthin wo Milch und Honig fließen" auf ihrem Weg rund um die Ellerstraße besuchen werden. Die Dramaturginnen Charlott Dahmen und Karin Frommhagen wollen damit Flucht und Migration ein Gesicht geben und eine Alternative bieten zu anonymisierten Meldungen in den Nachrichten. Daher auch das ungewöhnliche Format: Die Zuschauer werden aktiv in das Geschehen integriert und folgen, ausgestattet mit einem Audio-Guide, einer von vier inszenierten Fußreisen quer durch Oberbilk.

Hier, im zweitgrößten arabisch geprägten Stadtteil Deutschlands, wird klar, was Migration bedeutet, verschiedene Kulturen müssen sich miteinander arrangieren - Alltag für viele Immigranten.

Erzählt werden anhand der vier verschiedenen Routen die realen Schicksale von vier Flüchtlingen, die heute in Düsseldorf leben. Einer von ihnen ist Burhan, 20 Jahre alt: Nach einer waghalsigen Flucht vor den Taliban kam er mithilfe von zwielichtigen Schleuserbanden und oft unter Einsatz seines Lebens aus Afghanistan nach Deutschland. Vom Islamischen Bestattungsinstitut auf der Ellerstraße, wo Burhan über die schwierige Beziehung zu seinem Vater und dessen Tod berichtet, über einen arabischen Supermarkt bis hin zur Flüchtlingsberatungsstelle "Stay!", wo die Zuschauer Hintergrundwissen und rechtliches Know-How zum Thema Immigration erhalten, sollen charakteristische Orte Einblicke in den Alltag von Immigranten und Asylbewerbern in der Stadt geben. Mal erwartet die Besucher eine schauspielerische Darbietung oder Aktion wie die für den "unbekannten Flüchtling", mal eine Begegnung mit einem Ladenbesitzer oder Mitwirkenden der Produktion, mal gibt es auch nur einen Denkanstoß von der Stimme auf dem Audio-Guide. Alle vier Routen enden nach rund zwei Stunden im Café Salam auf der Querstraße, wo die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Zuschauern besteht.

Der Kontext des Stückes könnte nicht aktueller sein: In Düsseldorf wurde gerade zum ersten Mal die Marke von 3000 Flüchtlingen geknackt, bis zum Ende des Jahres sollen es 4700 werden. In Oberbilk selbst ist für den Herbst am IHZ-Park eine Unterkunft für bis zu 160 Menschen geplant. "Dorthin wo Milch und Honig fließen" gibt den Flüchtlingen ein Gesicht und macht bewusst, dass hinter jeder Flucht auch immer eine persönliche Geschichte steckt. Die Einnahmen aus dem Projekt fließen direkt als Spende an die Flüchtlingsinitiative "Stay!" auf der Hüttenstraße, die Flüchtlingen in Düsseldorf praktische Hilfe in rechtlichen und alltäglichen Fragen bietet.

(RP)
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