Kaiserswerth Stell dir vor, es ist Frieden

Kaiserswerth · Kazumi Yamada war zwölf, als seine Heimat durch eine Atombombe vernichtet wurde. Davon erzählte er an der Internationalen Schule.

 Der 83-jährige Kazumi Yamada berichtete Schülern davon, wie er die Explosion der Atombombe am 9. August 1945 in Nagasaki erlebt hat.

Der 83-jährige Kazumi Yamada berichtete Schülern davon, wie er die Explosion der Atombombe am 9. August 1945 in Nagasaki erlebt hat.

Foto: Andreas Bretz

Dutzende Male hatten sie das in der Schule durchgesprochen. Wenn es knallt, oder mal wieder die Sirene heult, dann wussten sie, was zu tun war. Der kleine Kazumi hockte sich also hin, hielt sich die Handflächen vor die Augen und steckte die Daumen ins Ohr. Das sollte seine gebrechlichen Gliedmaßen vor den großen Explosionen in Nagasaki schützen. Als Kazumi, der zwölfjährige Junge, seine Augen wieder öffnete, die Daumen aus den Ohren nahm, war die Welt, wie er sie kannte, nicht mehr da. Alles brannte und glühte, Menschen, Häuser und Bäume waren umgefallen wie Spielkarten.

Es war etwa elf Uhr am Morgen des 9. August 1945, als die Heimat von Kazumi Yamada verschwand. Harry S. Truman, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hatte in Potsdam den Befehl gegeben, "Fat Man" über seiner Heimat abzuwerfen. Die Plutoniumbombe mit 22.000 Tonnen TNT explodierte 2,3 Kilometer von Kazumi Yamadas Haus entfernt. Der Atompilz war etwa vier Kilometer breit und erwuchs zehn Kilometer in die Höhe. "Obwohl es Morgen war, war es stockfinster", erinnert sich Kazumi Yamada heute.

Im Dahms-Theater der Internationalen Schule Düsseldorf hat er nur kurz vor der Bühne Platz genommen. Nach ein, zwei Sätzen haben seine Erinnerungen ihn vom Stuhl getrieben - und der 83-Jährige spricht fortan im Stehen. Der kleine, hagere Mann mit den hochgezogenen, wachen Augenbrauen, erzählt nur leise von diesem Tag. Das Mikrofon hängt vor dem Stuhl, den er nicht nutzt. Und obschon Kazumi Yamada auf Japanisch redet, man also geneigt ist, kein Wort zu verstehen, schweigen die Schüler still. Sie kleben an seinen Lippen, die vom Grauen erzählen, von einer der schrecklichsten Katastrophen der Menschheit, dem Atombombenabwurf auf Nagasaki.

Yamada erzählt davon, wie er sich hinter einem großen Felsen versteckt hatte - und so überleben konnte. Wie er Freunde sah, deren Haut glühte und vom Körper abfiel. Wie er einer jungen Mutter begegnete, die es nicht wahr haben wollte, dass das Baby, das sie auf ihren Armen trug, tot war. Wie er nach Hause lief, zu dem Haus seiner Großmutter und der Tante, das etwas versteckt im Schatten riesiger Bäume stand, und das die Bombe nicht klein bekommen hatte. Und wie ihm ein Mann, dem die Augen ausgefallen waren, sagte: "Junge, du musst Rache nehmen."

Kazumi Yamada hat keine Rache genommen. Er hat nicht einmal daran gedacht, sich für das Leid, das ihm und seiner Heimat widerfahren ist, zu rächen. Verstanden, was dort passiert ist, wieso Hunderttausende ihr Leben verlieren mussten, ihre Perspektive und Hoffnung, hat er trotzdem nicht. Aber er hat einen Wunsch, einen leider sehr komplizierten Wunsch. Er bittet die internationalen Schüler in Kaiserswerth, wann auch immer möglich für Frieden einzutreten. Und: "Ich wünsche mir eine Welt ohne Krieg."

(her)
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