Holthausen Sütterlin lesen und schreiben können

Holthausen · Im "Zentrum plus" des Arbeitersamariterbundes in Holthausen ist ein Seminar gestartet, um die vergessene Schrift wieder lebendig werden zu lassen. 15 Teilnehmer waren der Einladung gefolgt.

Eine etwas andere Schulkasse traf sich vergangene Woche im "Zentrum plus" bei dem Arbeitersamariterbund in Holthausen zum Unterrichtsfach "Schreiben". "Das ist ein Experiment, und ich weiß nicht ob einer oder 20 kommen", hatte Einrichtungsleiterin Ute Frank vorab gewarnt. Doch die Zahl der Teilnehmer übertraf mit 15 alle Erwartungen.

Gelehrt wurde eine Schrift, die heute nur noch wenige lesen, geschweige denn schreiben können: Sütterlin. Vor über 70 Jahre lernten Schulkinder die vom Grafiker und Pädagogen Ludwig Sütterlin entwickelten Buchstaben, bis sie 1941 von der Deutschen Normalschrift - allerdings einer Variante von Sütterlin - abgelöst wurden. 1953 führte die Kultusministerkonferenz dann an allen deutschen Schulen die lateinische Schrift ein.

Also, wozu heute noch Sütterlin lernen? Abgesehen davon, dass zwölf Damen und drei Herren die Schreibübungen begeisterten, gab es für manche ganz stichhaltige Gründe. "Ich will endlich die Rezepte aus dem Kochbuch meiner Urgroßmutter lesen und dann kochen können", meinte Karin Wirtz aus Hassel zu ihrem Ehrgeiz.

Für Ursula Mitrenga sind schöne Buchstaben eine Leidenschaft: "Ich bastele Glückwunschkarten und habe dafür schon Kalligrafie gelernt", erzählte die ältere Dame aus Unterbilk. "Man muss sehr genau auf die Linien achten", ergänzte sie und wies auf das Übungsblatt vor sich. Es zeigte mehrere praktische Hilfslinien ausgestattet, so wie bei einem Heft für das erste Schuljahr. "Meinem Enkel sag' ich immer, er soll nicht über die Linie schreiben und jetzt mache ich das selbst", kommentierte Katrin Wirtz ihre etwas ungelenken Versuche zur Belustigung ihrer Mitstreiter.

"Wir haben das Projekt 'Holthausen auf der Spur', in dem wir Historisches zu unserem Stadtteil aus den Archiven zusammentragen", erzählte Ute Frank. Die alten Dokumente seien größtenteils in Sütterlin geschrieben, und da müssten beim Entziffern selbst die älteren Jahrgänge kapitulieren. "Das war für uns ein Fingerzeig, und nun erarbeiten wir uns diese Schrift gemeinsam", erläuterte sie den ursprünglichen Impuls für das Seminar.

Doch es gab für die Teilnehmer sehr unterschiedliche Motive. "Meine Großeltern haben nie viel geredet, zum Beispiel, wie sie den Krieg erlebt haben. Aber es gibt von ihnen zwei Kartons mit Briefen, die ich bisher nicht lesen konnte. Jetzt bin ich auf der richtigen Spur", erzählte ein älterer Herr strahlend.

Manche der jüngeren Anwesenden erinnerten sich an Sütterlin-Unterricht für das "Schönschreiben. Aber: das sei gefühlt ebenfalls schon sehr lange her, versicherten sie. Zwischendurch erreichte die Teilnehmer ein kritischer Punkt: Hilfe, die Hilfslinien lösten sich bis auf eine einzige auf. "Ich habe jetzt meinen Nachnamen geschrieben, aber wenn ich es nicht wüsste, würde ich ihn nicht wiedererkennen", witzelte eine Schreibkünstlerin zum Spaß der anderen. Die Frage nach einer Fortsetzung des Schreibseminars war einhellig: alle wollten wiederkommen. Und - wie es sich für ordentliche Schüler gehört - versprachen ebenfalls alle, fleißig zu üben.

(bgw)
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