Hassels Ein Dorf-Doktor wird 100

Hassels · Hans-Diether Bernhardt feiert heute im Kreis der Familie seinen 100sten Geburtstag. Von 1949 bis 1990 hat er in Hassels praktiziert. Im Alter von 75 setzte er sich zur Ruhe. Seine drei Kinder sowie Enkel sind in seine Fußstapfen getreten.

 Hans-Diether Bernhardt ist immer noch fit. Am Weltgeschehen nimmt er als interessierter Zeitungsleser immer noch intensiv teil.

Hans-Diether Bernhardt ist immer noch fit. Am Weltgeschehen nimmt er als interessierter Zeitungsleser immer noch intensiv teil.

Foto: Olaf Staschik

Sich nie über andere ärgern, denn "jeder Jeck is anders" - diese Devise von Hans-Diether Bernhardt ist ganz offenbar eine Weisheit, denn sie beschert ihm am heutigem 25. September seinen 100sten Geburtstag. Wenn Ärger erlaubt war, dann nur der über sich selbst. Der Arzt aus Leidenschaft sitzt fit in seinem gemütlichen Wohnzimmer in der Dasselstraße und erzählt mit leuchtenden Augen von seinem guten Elternhaus und erfüllten Leben. Dass alle drei Kinder - und demnächst auch Enkel - in seine Fußstapfen getreten sind, das macht ihn stolz.

Was es heißt, Tag und Nacht, wochentags und sonntags für Patienten bereit zu stehen, das bekam der eigene Nachwuchs früh mit. Sohn Peter, heute selbst Klinikchef, entwickelte als kleiner Junge besonderen Spürsinn. "Wenn nachts jemand an der Türe klingelte, rief er vorausschauend, Papa steh auf, 'ne Geburt", erinnert sich Bernhardt lachend. "Wir sind alle Ärzte geworden, weil wir niemanden kennen, der so zufrieden ist wie mein Vater", bekennt Tochter Silke.

"Ich wusste schon während meiner Schulzeit, dass ich Arzt werden wollte", meint der Jubilar mit den Vorlieben für naturwissenschaftlichen Unterricht. Zum Medizinstudium zog es das "Nordlicht", das in Bremerhaven Kindheit und Jugend verbrachte, in die Welt: Bonn, Königsberg und Münster hießen die Stationen. "Als ich mein Examen gemacht hatte, war Krieg und ich wurde als Lazarett- und Truppenarzt eingezogen; da war ich 26 Jahre alt", erinnert sich Bernhardt. Auf der Krim erlebte er, dass "man als Arzt keine Feinde hat". Praktiziert hat dieser Mann, der sagt "mein Beruf war mein Hobby", teils unter unvorstellbaren Verhältnissen. Während der Kriegsgefangenschaft behandelte er seine Patienten sogar im Kuhstall eines Bauernhauses.

Sein erstes Zuhause in Hassels hatte eine Multifunktion. Die Drei-Zimmer-Wohnung für die kleine Familie mit Kind beherbergte gleichzeitig die Praxis. "Im Flur warteten meine Patienten und dazwischen sprangen meine Kinder herum", erzählt der alte Herr amüsiert. Dazu brauchte es unbedingt die richtige Frau, und die lernte Bernhard im Kriegsjahr 1943 zufällig während eines Urlaubs kennen. "Lore hat immer alles mitgemacht und nie geschimpft", beschreibt er seine Liebe. Mit ihr - der Mülheimer Sportlehrerin - verbanden ihn sagenhafte 67 Jahre; sie starb vor drei Jahren.

Bevor das Ehepaar in Hassels ankam, gab es jedoch einige Stolpersteine. Aus der Kriegsgefangenschaft bewarb sich Bernhardt an mehreren Orten vergeblich für eine Niederlassung. "Die Konkurrenz war damals groß, und es gab viel weniger kassenärztliche Zulassungen", kommentiert er nüchtern die Lage im Jahr 1949. In Hassels setzte er sich gegen vier Mitbewerber durch. "Der Stadtteil bestand aus einigen Bauernhöfen, und jeder kannte jeden", beschreibt der rüstige alte Herr sein Umfeld. Straßen? Auf den Aschewegen sei ihm das Fahrrad mehr als einmal kaputt gegangen. Ein langer Arbeitstag, der nach den Hausbesuchen um 22 Uhr endete, bestimmte das Leben der Familie Bernhardt. Fixpunkte für die Kinder waren das tägliche Abendessen und die Urlaube zwei Mal im Jahr.

Mit 75 ging der Dorf-Doktor, der so vielen Hasselanern ins Leben als auch in ihrem Leben half, in den Ruhestand. Seine "Ausfallzeiten" wegen eigener Krankheiten zählt er belustigt an einer Hand ab. Heute pflegt der Jubilar immer noch seinen Garten mit besonderem Auge auf die wohlschmeckenden Tomaten. Am Weltgeschehen nimmt er als interessierter Zeitungsleser intensiv teil. Ausdruck dessen sind zahlreiche Zeitungsausschnitte, die seine Familie mit dem Vermerk "lesenswert" erhält. Familie - das sind inzwischen auch sechs Enkel und ein Urenkel. Sie alle erwartet er mit vielen anderen Gästen an seinem Ehrentag in seinem Haus, das er 1953 in Hassels baute: Praxis und Wohnung zwar getrennt, aber unter einem Dach.

(RP)
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