Analyse Neue Gründerzeit in den Stadtteilen

Flingern · Bei den Neubauprojekten in Derendorf, Flingern und Düsseltal geht es nicht allein um erschwinglichen Wohnraum für die Mittelklasse. Es geht um Teilhabe an gewachsenen Strukturen in einem neuen Quartier.

 "Living Circle" heißt das Wohnprojekt in Flingern, das vor allem die Mittelklasse ansprechen soll.

"Living Circle" heißt das Wohnprojekt in Flingern, das vor allem die Mittelklasse ansprechen soll.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Die Menschen, die hier wohnen sollen, benutzen Computer von Apple und weiße, grifflose Küchen. An ihren Wänden hängen Schwarzweiß-Fotografien, bei ihnen ist es nicht unaufgeräumt, aber es liegt immer irgendwo eine aufgeschlagene Illustrierte herum, die Reste einer Mahlzeit, Kinderspielzeug.

Die Menschen, die hier wohnen sollen, tragen Jeans und das Hemd aus der Hose, und selbst wenn sie im Erdgeschoss gemietet haben, lieben sie es aus dem Fenster zu schauen. Dabei umarmen sie sich gern. Am wichtigsten aber: Sie mögen Bars und Restaurants und Eisdielen und das Rütteln des Fahrrades auf Kopfsteinpflaster. So zumindest werben die Eigentümer des "Living Circle", eben jener Wohnsiedlung, die aus dem ehemaligen Thyssen-Trade-Center entstanden ist, um Mieter. Sie zeigen auf der einen Seite das mögliche neue Leben in der Wohnsiedlung, und auf der anderen Seite Fotos aus Flingern. Die Botschaft: Auch wenn man in einen Neubau zieht, der großzügig, komfortabel und schick ist, auch wenn man mit seiner Wohnung ein Teil dieses inzwischen schon als "Neue Gründerzeit" betitelten Baubooms ist, einen Teil jener alten Gründerzeit hat man gleich um die Ecke, in Reichweite.

Wer in die innenstadtnahen Neubauten zieht, wünscht sich nicht nur bezahlbaren Wohnraum, er will teilhaben an dem Charme der gewachsenen Stadtteile in der Nachbarschaft. Darin unterscheidet sich dieser neue Bauboom wohl am meisten von dem in den 60er und 70er Jahren. Auch damals brauchten die Großstädte bezahlbaren Wohnraum, auch damals wurde in großen Dimensionen gedacht, doch fanden die Planer nur Platz, indem sie Altbauten abrissen oder Siedlungen auf der grünen Wiese bauten, neue Stadtteile wie Garath entstanden in jenen Jahren, und sie wurden für viele Menschen der Inbegriff des anonymen Großstadtwohnens, obwohl die Bewohner selbst oftmals ganz anders über ihre "Trabantenstadt" denken.

In den neuen Neubauvierteln geht es hingegen nicht um einen neuen Ansatz, ein neues Gefühl des Wohnens, hier betont man stattdessen die Nähe zum Bestehenden, und gerade in der Vermarktung der Wohnungen wird so getan, als sei dieser seltsame Gefühlsmischmasch aus Heimeligkeit, Nachbarschaft und Wohlfühlen schon in der Architektur vorhanden, als sei sein Ursprung die Nähe zu den alten Vierteln. Trifft man Menschen, die sich für jene Wohnungen interessieren oder sie gar schon bezogen haben, heißt es oft beinahe entschuldigend, man habe nichts Passendes an Altbau gefunden. Nötig ist das aber eigentlich nicht.

Nachbarschaft und Heimeligkeit entsteht durch Zeit. Niemand darf erwarten, dass von heute auf Morgen, mit einem Fingerschnippen sozusagen, riesige neu gebaute Areale in ihre Umgebung aufgehen, als seien sie schon immer da gewesen. Auch die Bemühungen der Projektentwickler und Vermarkter durch Straßenfeste etwa ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen, können - so nützlich sie auch sind - alleine nicht zum gewünschten Effekt führen. Was es braucht, damit die Zugezogenen, Neubürger und Familiengründer ankommen, ist schlicht ein wenig Zeit. Wem also die neu entstandenen Quartiere fremd vorkommen, der sollte einmal an einem Wochenende durch Grafental laufen, wenn die Neubewohner auf ihren Balkonen und in den Gärten sitzen, wenn tatsächlich Kinder auf den Spielplätzen sind, wenn die schicken, neuen Wege durch ihre Kreide-Kritzeleien auf einmal schön werden. Das wird schon noch, und die neuen Viertel sind eben nicht nur eine Notwendigkeit, sie tun der Stadt gut, weil sie wichtig für die Menschen sind. Und sie sind allemal besser als die Bebauung jedes noch so kleinen Hinterhofes, wo die Kosten alleine schon aufgrund der Tatsache steigen, dass man wegen mangelnden Platzes jeden Sack Zement einzeln durch den Hauseingang des Vorderhauses tragen muss.

Mit Projekten wie dem "Living Circle" oder dem vierten Bauabschnitt von Grafental, mit dem vor kurzem begonnen wurde, ist die Stadt auf einem sehr guten Weg. Natürlich ist das Preisniveau immer noch hoch, zu hoch werden manche sagen. Umso mehr gilt: Die Stadtteile können mehr solcher Neubauten vertragen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort