Flingern Kunst zwischen Urinalen

Flingern · Der Verein KunstConzept Flingern zeigt im Reinraum, einer ehemaligen Toilette unter der Erde, Kunst von Ail Hwang.

 Ail Hwang hat aus fragilen Papierbahnen eine Landschaft entwickelt, die sich in den unterirdischen Toilettenraum einfügt.

Ail Hwang hat aus fragilen Papierbahnen eine Landschaft entwickelt, die sich in den unterirdischen Toilettenraum einfügt.

Foto: Anne Orthen

Unten an der Treppe am Jahnplatz ist man geneigt, eine der annähernd zehn Klingelknöpfe zu drücken, um Einlass zu erhalten. Dann fällt es einem wieder ein: Ist ja Quatsch, das war doch mal eine öffentliche Toilette - und jetzt wird sie als Kulturraum benutzt. Ah, das ist also Kunst!

So genau kann Martin Korbmacher vom Verein Reinraum das nicht bestätigen, die Klingelleiste sei irgendwie schon immer da gewesen, aber ja, jetzt werden die drei Räume (mit Toilette sogar vier) als Ort für Kunst und Musik genutzt, zehnmal im Jahr. Urinale und die wenig einladend wirkenden Kacheln an den Wänden seien bewusst nicht entfernt worden. Den "Reinraum" gebe es schon seit rund 2002, nachdem die unterirdische Anlage zehn Jahre lang Leerstand - quasi. "Das war lange ein Schwulen- und Fixertreff. Nach vielen behördlichen Auflagen konnten wir die Stadt von unserem Konzept überzeugen. Wir sind aber nur geduldet, zahlen keine Miete, mit dem Verkauf von Getränken bei Veranstaltungen werden größtenteils die Ausgaben gedeckt", erklärt Korbmacher. Es gebe viele Schlüssel, der Verein habe immerhin rund 40 Mitglieder, wie viele genau, könne er nicht sagen.

Im Wechsel gibt es musikalische Events und Ausstellungen, oft von Nachwuchskünstlern, aber durchaus auch von Profis. Ail Hwang ist auf dem Weg dahin. Die Absolventin der Kunstakademie Münster ist eigentlich nur eingesprungen für einen Künstler, der ins Krankenhaus musste, sofort hat sie sich aber auf den ungewöhnlichen Raum eingelassen. Der Titel ihrer Ausstellung, "Etteliot", gibt nur auf den ersten Blick Rätsel auf - einfach von hinten nach vorne lesen. Ihr zentrales Werk vor den Urinalen greift die Fläche des Raumes auf. Die scheinbar wahllos zerknüllten und neu entfalteten Papierbahnen würden exakt den Boden abdecken. Stattdessen bilden sie eine in sich autarke, landschaftsähnliche Installation. "Ich mag es, wenn der Betrachter erst mal ins Leere läuft", sagt Ail Hwang, die am Wildpark in Ludenberg lebt.

Die Kunst der Südkoreanerin mag man als puristisch, streng, gerne auch reduziert bezeichnen, sie ist aber auf jeden Fall stets überraschend. An der Oberfläche des Reinraums, wo Glasbausteine auf dem Platz das Leben im Untergrund erahnen lassen, hat die 34-Jährige den Grundriss der Toilettenanlage mit Klebeband nachgezeichnet. Er erscheint überproportional groß, was seinen Grund hat. Ail Hwang hat zwei Räume hinzugefügt, die es geben könnte, deren Existenz aber nicht überprüfbar ist. Auf einem Plan hat sie in einen dieser Räume sogar ein fiktives Werk eingezeichnet. Hintergrund: Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele unterirdische Räume als Bunker ausgebaut, "und auch wir sind hier auf viele Türen gestoßen, die wir nicht alle öffnen konnten oder durften", sagt Korbmacher. "Also gibt es dieses Werk vielleicht doch", fügt Ail Hwang augenzwinkernd hinzu.

Realisiert hat die Ausstellung der Verein Kunst-Concept aus Flingern, der vor zwei Jahren mit einer Ausstellung auf 600 Quadratmetern und 34 Künstlern in einem alten Teppichhandel auf der Ackerstraße auf sich aufmerksam machte. "Wir sind ein kleiner Verein mit zehn Leuten, die Kunst lieben und Nachwuchskünstler unterstützen", erklärt Mitglied Gudrun Wünsche.

(RP)
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