Analyse Grafental, die teure Idylle

Flingern · Der neue Stadtteil zwischen Metro und Flingern ist fast fertig und erntet Begeisterung - zumindest bei denen, die es sich leisten können, dort zu wohnen.

 Wie aus einem Guss und trotzdem kein graues Einerlei. Grafental soll eine eigene Identität entwickeln.

Wie aus einem Guss und trotzdem kein graues Einerlei. Grafental soll eine eigene Identität entwickeln.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Und plötzlich steht da ein neuer Stadtteil. Da, wo eben noch alles mehr oder weniger brach lag, wo der Metro-Park hinter den Fassaden des Großkonzerns ein eher einsames Dasein fristete, wo allenfalls die Nähe zum hippen Flingern eine Form von Nachbarschaftsgefühl hätte schaffen können.

Die Nähe zu Flingern gilt immer noch als großer Pluspunkt, gerade einmal fünf Minuten geht man über die Promenade, die quer durch das Viertel verläuft und Flingern-Nord mit der Metro verbindet, bis zum Beginn der Bruchstraße. Doch Grafental will eine eigene Identität, und das soll auch jeder sehen: In großen, grünen Leuchtbuchstaben prangt der Name des Stadtteils an der Fassade des Hauptgebäudes an der großen Piazza.

"Einen ganz normalen Stadtteil zu bauen", war das erklärte Ziel von Ulrich Tappe, Geschäftsführer des Projekts, und seinem Planungsteam. Auf den ersten Blick scheint das durchaus gelungen. Große Wohnblocks zwar wie anderswo, man merkt, dass alles aus einem Guss stammt - aber der Fehler, das Neubaugebiet wie vielerorts in einer anonymen Masse aus grauem Beton versinken zu lassen, wurde hier nicht gemacht. Die Fassaden springen, das Mauerwerk variiert in Farbe und Form, an jeder Ecke verändert sich der Blick.

"Die Leute wollen nicht in einem Gebäude mit kunstvollem Namen leben. Sie wollen eine Hausnummer, einen klar erkennbaren Eingang, einen persönlichen und individuellen Lebensraum", sagt Tappe. Ein kleiner Seitenhieb vielleicht auf andere Projekte wie die an der Toulouser Allee, wo die Adressen nicht "Hohenzollernallee 29", sondern "Le Flair" heißen.

Wie "normal" ein Stadtteil mit Quadratmeterpreisen von bis zu 4500 Euro und mehr sein kann, darüber lässt sich allerdings streiten. Auch Bezirksvertreter wie Ratsfrau Annelies Böcker von der CDU loben die "gute Durchmischung und die Lebendigkeit" des Viertels. Mietwohnungen gibt es jedoch kaum, wer in Grafental leben möchte, muss mindestens 300.000 Euro für eine Eigentumswohnung in die Hand nehmen.

Der angepriesene Mix der Anwohner in den Wohnblöcken, die bei ihrer Fertigstellung alle bereits fast vollständig verkauft waren, besteht so wohl eher aus vermögenden und sehr vermögenden Menschen.

Ob der Stadtteil Grafental den Praxistest auf lange Sicht besteht, muss sich noch zeigen. Zwar haben die ersten Wohnungsübergaben schon stattgefunden, einige Investoren hätten laut Ulrich Tappe sogar gleich mehrere Wohnungen gekauft, auch auf den skulpturenhaften Klettergerüsten in den Innenhöfen spielen bereits Kinder. Doch das "echte Leben" ist noch nicht ganz eingekehrt.

"Ein paar Bäume könntet ihr hier aber schon noch spendieren", scherzt Harald Schwenk von den Grünen mit Blick auf die graue Metro-Fassade. Auch die Eröffnung des Bäckers und die "Emmas Enkel"-Filiale stehen noch aus, die Bäume und Sträucher in den thematisch gestalteten Innenhöfen sind gerade erst gepflanzt worden.

Ulrich Tappe zumindest ist von einer rosigen Zukunft des Stadtteils überzeugt: Viele junge Familien investierten lieber hier als in ein eigenes Haus, viele Ältere wollten raus aus der Stadt und schätzten die Ruhe, die Grafental trotz zentraler Lage biete. Das ist er eben, dieser Mix, der fast schon zum Markenzeichen Grafentals stilisiert wird. "Grafental ist eben nicht 08/15, sondern ein echtes Herzensanliegen", sagt auch Annelies Böcker.

Das stimmt - zumindest für die Menschen, die es sich leisten können.

(RP)
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