Flingern Für immer Flingern

Flingern · Karl-Heinz Lenders arbeitet seit 1972 fast ununterbrochen im Hinterhof an der Birkenstraße 47. Viele Jahre war er bei Glas Lennarz tätig. Nach dem Ende der Glaserei blieb er und arbeitet nun als Hausmeister in der Sammlung Philara.

 Karl-Heinz Lenders in Arbeitskleidung in der Sammlung Philara. Für Vernissagen tauscht er die Latzhose gegen Anzug und Fliege.

Karl-Heinz Lenders in Arbeitskleidung in der Sammlung Philara. Für Vernissagen tauscht er die Latzhose gegen Anzug und Fliege.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Auf den ersten Blick gibt Lenders keinen klassischen Hausmeister ab. Zu leise, zu bescheiden und kein bisschen hemdsärmelig. Er sei etwas nervös, erklärt er. "Ansonsten arbeite ich ja eher im Hintergrund." Da ist er allerdings so unverzichtbar, dass Sammlungsdirektorin Katharina Klang ihn als "Herz der Philara" bezeichnete. Lenders sind derlei Komplimente eher unangenehm. "Ich bin nicht perfekt, aber ich bin immer da, wenn was ist", sagt er. Dabei endet sein Wirkungskreis keinesfalls mit den Außenwänden des Kunsthauses. Wenn in der benachbarten Filmwerkstatt die Leinwand fürs Open Air Kino aufgebaut wird, hilft die gute Seele ebenso, wie wenn in der Gaststätte Schmalbauch die Damentoiletten vergrößert werden. "Ohne ihn wäre die Birkenstraße verloren", sagt Klang. Wie zum Beweis klingelt das Mobiltelefon des Hausmeisters. Lenders entschuldigt sich höflich, bevor er das Gespräch entgegennimmt. Eine Mitarbeiterin der Wim-Wenders-Stiftung ist dran. Es gibt ein Problem mit der Alarmanlage. "Ich komm' gleich mal rauf", verspricht Lenders.

Nach Flingern gekommen ist Karl-Heinz Lenders 1969. Damals wurden die Kneipen im Stadtteil noch mit Kutschen beliefert. "Flingern war zu der Zeit ein Arbeiterviertel mit hohem Ausländeranteil", erinnert sich der mittlerweile 62-Jährige. Lenders mochte die Gegend auf Anhieb. 1972 fing er im Alter von 17 Jahren bei Glas Lennarz an. "Das war noch vor der Ölkrise, da wurden ständig Leute gesucht", erinnert er sich. "So bin ich hier reingerutscht." Bis heute zeugen Narben an seinen Armen von den Schnittwunden, die er sich bei der Arbeit zuzog. "Genäht worden bin ich aber selten", so Lenders. In der Glaserei arbeitete er zunächst im Zuschnitt. Die ungefähr sechs mal drei Meter großen Glasplatten wurden noch überwiegend auf der Schiene angeliefert. "Es gab einen direkten Gleisanschluss an die Gerresheimer Glashütte", erzählt Lenders. Die Züge konnten von der Produktionsstätte bis in die Halle an der Birkenstraße fahren. Noch heute, da Glas Lennarz längst Geschichte ist, spricht Lenders im "wir" von seinem langjährigen Arbeitgeber. Darauf angesprochen, zuckt er die Schultern: "Das war ja fast mein ganzes Leben." Urlaub hat er in all den Jahren selten gemacht, das sei ihm einfach zu weit weg von Flingern. "Ans Meer zu fahren ist ja ganz schön, aber nach zwei, drei Tagen bekomme ich Heimweh."

Die Welt in Flingern hat sich um 180 Grad gedreht, seit Lenders vor 48 Jahren ins Viertel kam. In den 80er-Jahren bezahlte er für seine 82-Quadratmeter-Wohnung an der Gerresheimer Straße 540 Mark Warmmiete. Heute verkehrt im Hinterhof an der Birkenstraße die internationale Kunstszene. Es werde viel Englisch gesprochen, so Lenders, der bedauert, dass er die Sprache nicht beherrscht. Davon abgesehen kommt er mit der neuen Klientel sehr gut zurecht. Das Verhältnis zu den Künstlern beschreibt Kalle oder Kalla, wie ihn viele hier nennen, als nett und herzlich. Mit den Kollegen der Philara ist er per du. Einzige Ausnahme: Gil Bronner. "Den sieze ich. Er ist ja mein Chef." Zu den Ausstellungseröffnungen wird der Hausmeister selbstverständlich eingeladen. Anlässlich der Vernissagen tauscht er dann die grüne Latzhose gegen Anzug und Fliege.

Bei dem Gespräch mit der RP hat er den Arbeitsdress mit einem Strohhut und einer stylischen Brille kombiniert. Auf seinen Armen prangen vier Tattoos, darunter die Stones-Zunge und ein Meatloaf-Motiv. "Ich war früher viel auf Konzerten", so Lenders. Im reifen Alter von 50 entdeckte er sein Herz für Techno: "Damals wohnte ich in einer WG mit drei 18-jährigen Mädels, so kam ich auf die Musik." Eine Weile lang ließ Lenders kaum ein Rave aus, tanzte bis in den frühen Morgen. Er steht auf, dreht sich um und zieht den Ausschnitt seines weißes T-Shirts nach unten: Auf dem Nacken prangt das Logo der Mayday.

Von bildender Kunst verstehe er noch nicht viel, sagt der Hausmeister. "Ich kann nur sagen, was mir gefällt und was nicht." Aber er lerne ständig dazu. Sein Blick auf die Kunst hat sich verändert, seit er in der Philara arbeitet. "Erst gestern Abend habe ich vier Nachbarn im Rahmen einer privaten Führung die Sammlung gezeigt", erzählt er. Natürlich hat er sie bei der Gelegenheit auf "Artichoke Underground" hingewiesen. Die Arbeit der New Yorker Künstler Jonah Freeman und Justin Lowe ist eine irre, mehrgeschossige Rauminstallation - eine Kombination aus Imbiss, Druckwerkstatt, Warteraum mit Pornokino. "Das Werk liebe ich über alles", sagt Lenders. Manchmal, wenn er bei Vernissagen dort Aufsicht führt, in seinem schicken Anzug und mit Fliege, wird er für den Künstler gehalten. Wenn die Besucher ihm Fragen zum Werk stellen, tritt Lenders instinktiv einen Schritt zurück. Dorthin, wo er sich am wohlsten fühlt: in die zweite Reihe. Und sagt: "Ich bin nicht der Künstler. Ich bin der, der abends die Sicherungen rausdreht."

(RP)
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