Eller Wie die Aleviten nach Eller kamen

Eller · Vor 25 Jahren gründeten eine Handvoll türkischstämmiger Männer und Frauen die alevitische Gemeinde.

Dort, wo früher die Fahnen eines Autohauses wehten, hängen jetzt rote Stoffe an den Masten, mit weißer Schrift, die von weitem nicht zu entziffern ist. Leer ist der Parkplatz, still die Straße. Manchmal kommt eine Bahn vorbei, dann rattert es für einen Moment. Zwei Jahre haben Cemal Büyük und sein Team auf dem Gelände gearbeitet, einen Treffpunkt geschaffen für sich und für die Mitglieder. "Ich bin Mädchen für alles", sagt Büyük, der eigentlich im Vorstand ist in der alevitischen Gemeinde Düsseldorf. Der als Architekt die Pläne entworfen hat für das ehemalige Autohaus an der Straße Am Kleinforst, der Dolmetscher ist und Ratgeber. Der aber auf Kriegsfuß steht mit der Kaffeemaschine.

2014 hat die Gemeinde die Liegenschaft in Eller gekauft, dafür viel Unterstützung bekommen von der Bezirksvertretung 8, "die geschlossen für eine Änderung des Bebauungsplans gestimmt hat", erzählt Büyük. Zu groß ist die Gemeinde geworden in den letzten Jahren, als dass der Platz in der dritten Etage der Leitz-Werke noch ausgereicht hätte. 300 Familien, die im Schnitt aus drei Personen bestehen, gehören inzwischen zum Verein, rund 4500 Aleviten in der Stadt, die nicht Mitglieder sind, "haben das Bedürfnis, uns zu kontaktieren", sagt Büyük. Angefangen hat alles vor 25 Jahren, am 2. Juli 1993, mit dem Brandanschlag von Sivas, einem Angriff einer religiös motivierten und aufgepeitschten Menge, die Teilnehmer eines alevitischen Festivals als Geiseln nahmen und anschließend das Madimak-Hotel in Brand setzten. 35 Menschen und zwei Täter kamen ums Leben. Ein Moment, der die Aleviten weltweit erschütterte, ein Moment, in dem sich die Aleviten gegenseitig unterstützen wollten.

In Reisholz trafen sich damals 60 Mitglieder in einem kleinen Zimmerchen, bald wurden es mehr. "Wir wollten uns organisieren, wollten zeigen, dass es auch eine andere Volksgruppe gibt", sagt Sari Canan, die seit acht Jahren Vorsitzende der Düsseldorfer Gemeinde ist. Immerhin sind etwa ein Drittel der Türken Aleviten, ähnlich sieht es in Deutschland aus. Der Glaube hat einen hohen Stellenwert bei den Aleviten, weniger aber der Koran. "Es gibt einen Gott, und ich glaube an ihn", sagt Cemal Büyük und betont, dass bei den Aleviten Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene gleich sind, "bei uns zählt der Mensch".

Vereinfacht ausgedrückt hat es vor 1400 Jahren eine Spaltung gegeben unter den Muslimen, so wie es auch bei den Christen der Fall war, als sich die evangelische von der katholischen Kirche abspaltete. Offener seien die Aleviten, findet Canan, ein Kopftuch trägt sie wie eigentlich alle Frauen nicht. "Würde meine Frau eines tragen, würde ich mich scheiden lassen", sagt Büyük. Viele Mitglieder haben deutsche Freunde, meint Büyük, der Freunde einlädt in das neue Zentrum, sonntags zum Beispiel, wenn das große Familien-Frühstück stattfindet. Einen Saal mit Platz für 600 Leute hat Büyük extra entworfen, dort soll gefeiert und diskutiert werden. Vor der Bundestagswahl luden die Aleviten alle demokratischen Parteien ein, "Rimkus war da und Pantel", sagt der Architekt, der seit seinem fünften Lebensjahr in Deutschland wohnt, für den der Besuch in der Türkei Urlaub ist, fast wie in einem fremden Land. Die AfD hat er übrigens nicht einladen wollen, "wir stellen uns zwar der Diskussion, aber warum soll jemand zu uns kommen, der sowieso etwas gegen uns hat".

Einige Schwerpunkte hat die Düsseldorfer Gemeinde gesetzt innerhalb des Vereins: Jugendarbeit steht ganz oben, einen eigenen Raum haben die Jungen sogar bekommen, in dem sie kickern können und Musik machen. Die Frauenabteilung ist den Aleviten wichtig, nicht ohne Grund ist eine Frau seit acht Jahren an der Spitze. Noch mehr im Bereich Kunst und Kultur will die Gemeinde machen, sich auch in das Düsseldorfer Leben einbringen, gerne würde sie eine Kita eröffnen, nicht nur für alevitische Kinder, "und vielleicht irgendwann einen Wagen zum Karnevalszug schicken", sagt Büyük. Die Aleviten sind angekommen in ihrem neuen Domizil, in Eller, in Düsseldorf.

(RP)
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