Herbert Spiller (97) Unser Typ der Woche

Derendorf · Herbert Spiller (97) geht jeden zweiten Tag in die Münstertherme, bittet im Zakk die Damen zum Tanz und trinkt gern auf der Bolkerstraße ein Bierchen. Sein Rezept für ein glückliches Leben ist simpel. Aber es wirkt.

 97 Jahre alt ist Herbert Spiller, der hier in der Münstertherme posiert. Am liebsten geht es ihm gut, sagt er.

97 Jahre alt ist Herbert Spiller, der hier in der Münstertherme posiert. Am liebsten geht es ihm gut, sagt er.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Vennhausen Ein wenig gebückt läuft Herbert Spiller, doch überraschend schnell, dabei schweift sein Blick gern vom Weg ab in die Gesichter der Menschen, denen er begegnet. Spiller ist kontaktfreudig, er lächelt oft, egal, ob er auf dem Weg zur Münstertherme ist oder am Rhein spazieren geht.

Laufen muss er. Jeden Tag, sagt er, mindestens eine Stunde. Meistens fährt er dazu abends an den Rhein, er hat keine feste Zeit, richtet sich nach der Sonne, denn er mag es nicht, wenn es so heiß ist. In dieser Woche ist Herbert Spiller 97 Jahre alt geworden.

Herbert macht alles noch selbst

Er lebt allein in Vennhausen, zwei Zimmer, Balkon, Erdgeschoss, macht seine Wäsche, das Essen selbst, Fleisch gibt es selten. Es gibt im Leben von Herbert Spiller viele Höhepunkte, was angesichts seines Alters nicht verwundert, aber das Schöne ist, er erlebt diese Momente, diese Höhepunkte immer noch. Jede Woche. Spiller sagt, dass er sich schon aufs Schwimmen freue, wenn er am Abend zuvor seine Sachen packt. Dreimal in der Woche fährt er mit dem Bus zur Münstertherme. Spiller sagt, dass das Tanzen im Zakk sein "Lebenselixier" ist.

Zwei Tanzpartnerinnen hat er, die er mindestens einmal im Monat trifft. Sie wohnen in Unterbach und setzen ihn auf dem Weg Zuhause ab. Eine von ihnen hat er an der Bushaltestelle vor seiner Tür kennengelernt. Es mag Zufall gewesen sein, doch für Herbert Spiller sind jene Zufälle eben doch etwa anderes. Vorsehung? Schicksal? Glück? Gottesgnade? "Irgendwas ist da", ist Spiller überzeugt, jemand scheint es gut mit ihm zu meinen, glaubt er. Man sagt, dass glückliche Kinder auch glückliche Erwachsene werden, selbst wenn sie es später nicht leichter haben als andere Menschen. Spiller sagt, er habe eine sehr glückliche Kindheit gehabt. Und das war in Oberschlesien zwischen den Weltkriegen.

Spiller meldete sich freiwillig

Oberschlesien wurde durch den Versailler Vertrag zwischen Polen und Deutschland geteilt. Als Reichsdeutsche saß Spillers Familie auf der polnischen Seite, die meisten anderen Deutschen verließen die nun polnischen Dörfer und Städte, doch Spillers Vater - national und konservativ - blieb. Die Familie verarmte, was sie aber nur mehr zusammenhalten ließ. Spiller ging auf der deutschen Seite bei einem Friseur in die Lehre, die im September 39 beendet war. Als die Wehrmacht Polen angriff.

Spiller meldete sich freiwillig zur Fallschirmtruppe, eine Eliteeinheit. In der Ausbildung verliebte er sich in die Frau eines Kameraden, der gefallen war. Spiller war in Russland, in Frankreich, in Italien als Bursche des Stabsarztes. Vor der Schlacht von Monte Casino wurde er krank, und als der Krieg schließlich zu Ende war und sich die Truppe geschlossen den Amerikanern ergeben wollte, floh er, aus Angst doch noch in russischer Gefangenschaft zu landen. Er ging über die Alpen, übernachtete bei Bauern, schaffte es irgendwie über die italienische Grenze. Zwei Tage war er in Gefangenschaft, dann frei. "Ich hatte viel Glück", sagt er.

"Das ist doch etwas Wunderschönes"

Spiller ließ sich in Niedersachsen nieder, heiratete die Witwe seines Kameraden, arbeitete zunächst als Friseur, dann als Laborant. Als er 60 wurde, starb seine Frau und er ging in Rente. Über seine Schwägerin lernte er eine Frau in Düsseldorf kennen, Anfang der Achtziger zog er an den Rhein, zu ihr. Gemeinsam genossen sie das Leben, mit dem Campingwagen durch Europa, Fernreisen nach Kanada, Ägypten und in die Dominikanische Republik. Mit 72 machte er seinen Tauchschein, tauchte durch Wracks in der Südsee. Vor drei Jahren starb auch seine Lebensgefährtin, nach längerer Krankheit. Er war allein. Kurz darauf trank er mit seinem Sohn ein Bier in der Bolkerstraße, sie unterhielten sich über Tandem-Sprünge, und so kam es, dass Herbert Spiller zu seinem 95. Geburtstag noch einmal aus 4000 Metern sprang. Großartig war das, sagt er, er würde es gern wieder machen, doch seiner Tochter zuliebe verzichtete er. Spiller geht nun lieber tanzen. Oder setzt sich an einen Tisch ins Kit-Cafe. Er freut sich besonders, wenn Bands aus fernen Ländern spielen, wenn viele junge Leute da sind. "Das ist doch etwas Wunderschönes", sagt Herbert Spiller.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort