Derendorf Erinnerung an 6000 jüdische Schicksale

Derendorf · Hochschule dokumentiert im alten Schlachthof, wie Juden von dort aus in die Ghettos und Vernichtungslager deportiert wurden.

 An den Wänden der Galerie hängen Fotos, zum Teil auch Augenzeugenberichte der Deportierten. Auch die Täter werden gezeigt.

An den Wänden der Galerie hängen Fotos, zum Teil auch Augenzeugenberichte der Deportierten. Auch die Täter werden gezeigt.

Foto: Andreas Bretz

Es war nur eine Nacht, die die Juden aus Düsseldorf und der Umgebung im Derendorfer Schlachthof verbrachten, bevor sie am nächsten Morgen vom nahegelegenen Güterbahnhof in die Ghettos und Vernichtungslager deportiert wurden. Doch die wenigen Stunden verfolgten die wenigen Überlebenden ihr ganzes Leben. "Meiner weinenden Mutter riss der Schmerz des Abschieds einen langgezogenen Schrei aus dem Körper, der sich über den ganzen Bahnhof legte", schrieb Imo Moszkowicz später über den 22. April 1942, an dem der gerade einmal 16-Jährige von Mutter und Geschwistern getrennt und ins polnische Izbica deportiert wurde. Den Schrei seiner Mutter habe er nie vergessen, "die unmenschliche Angst, die sich damit verbindet, verfolgt mich selbst in meinen zufriedensten Stunden", sagte der Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller, der 2011 verstarb.

Gegen den anfänglichen Widerstand einiger Bibliotheks-Mitarbeiter sind nun auch die Viehtröge installiert worden, in denen Eltern ihre Kinder ablegten.

Gegen den anfänglichen Widerstand einiger Bibliotheks-Mitarbeiter sind nun auch die Viehtröge installiert worden, in denen Eltern ihre Kinder ablegten.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Fast 6000 Juden wurden von den Nationalsozialisten zwischen 1941 und 1944 von der Viehhalle in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten deportiert. Dort, wo für die meisten Menschen die Reise in den Tod begann, ist ein Erinnerungsort entstanden. Die Hochschule Düsseldorf, die auf dem Areal zwischen Münster- und Ratherstraße ihren neuen Campus baut, dokumentiert in einem Bereich der restaurierten Halle die Verbrechen, die dort verübt wurden. "Mit dem Zuschlag für das Gelände haben wir schließlich auch das historische Erbe übernommen", sagt FH-Präsidentin Brigitte Grass.

Im Außenbereich geben Bilder und Texte einen Einblick in die Geschichte des Areals. Drinnen gibt es eine Galerie, an deren Wänden Bilder und Augenzeugenberichte von einigen Überlebenden hängen, die einem das Grauen, das sich an diesem Ort abspielte, vor Augen führen. Da erzählt zum Beispiel Hilde Sherman: "Ich drehte mich um, wollte meinem Mann etwas zurufen, als ich plötzlich einen Stoß in den Rücken bekam und die schmale Treppe in den Schlachthof hineinstürzte. Diesen Augenblick werde ich nie vergessen. Oben auf der Treppe stand Pütz, ein hoher Gestapobeamter. Mit wutverzerrtem Gesicht brüllte er hinter mir her: ,Auf was wartest du noch? Auf die Straßenbahn? Die fährt für dich niemals mehr.'"

An Medienstationen kann man sich Augenzeugenberichte anhören, sich die langen Deportationslisten ansehen oder erfahren, wer die Täter waren und dass - und warum - sie auch nach Ende der NS-Diktatur einen Job im Öffentlichen Dienst bekamen. Gegen den anfänglichen Widerstand einiger Mitarbeiter der angrenzenden Bibliothek sind auch vier Viehtröge aufgestellt worden. "Die Tröge in der Bibliothek zeigen mehr als Worte allein durch ihre Gegenwart, das dort Menschen wie Schlachtvieh behandelt wurden", sagt der Vorsitzende des Hochschulrats Burkhard Hirsch. Eltern legten ihre Babys und Kinder in die Tröge, damit diese nicht auf dem kalten, schmutzigen Steinboden schlafen mussten. Hilde Sherman hat sich bis an ihr Lebensende daran erinnert, wie die Kinder die ganze Nacht darin weinten.

(semi)
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