Benrath Eine Frau steht ihren Mann

Benrath · Mit 93 Jahren schreibt Dorothea Blume gerade an ihrem neuen Buch. Ihr Leben lang hat sie sich durchsetzen müssen.

 Dorothea Blume schrieb sich Anfang der 1940er Jahre als zweite Frau überhaupt an der Universität Bonn im Fach Physik ein. Trotz eines sehr guten Diploms hatte sie es als Frau in der männerdominierten Berufswelt schwer.

Dorothea Blume schrieb sich Anfang der 1940er Jahre als zweite Frau überhaupt an der Universität Bonn im Fach Physik ein. Trotz eines sehr guten Diploms hatte sie es als Frau in der männerdominierten Berufswelt schwer.

Foto: Olaf Staschik

Das Lernen sei ihr immer leicht gefallen, sagt Dorothea Blume. Ohne viel Mühe schaffte sie daher als Klassenbeste das Abitur. "Angefangen habe ich noch im Ober-Lyzeum, das damals im Ostflügel des Benrather Schlosses untergebracht war. Als Benrath eingemeindet wurde, musste ich dann an eine Schule in der Stadt wechseln", erinnert sich die 93-Jährige. In Ruhe die Schule zu Ende zu machen oder zu studieren - daran war in ihrer Jugend nicht zu denken. Ständig änderte das Nazi-Regime die Bedingungen. Erst der Schulwechsel, dann ein Schuljahr weniger bei gleichgebliebenem Inhalt. "Es war aber nicht so, dass wir wie bei G8 mehr Unterricht hatten, sondern wir mussten den Stoff einfach selbst aufholen", erzählt sie.

Mit 17 machte Dorothea Blume das Abitur, doch studieren durfte sie nicht sofort: Erst mussten die Mädchen ein halbes Jahr Arbeitsdienst leisten. Statt der versprochenen Unterbringung in einem Umkreis von 50 Kilometern rund um Düsseldorf ging es ins viele hundert Kilometer entfernte Pommern zur Feldarbeit bei einem Kleinbauern. Das Studienfach ihrer Wahl stand bereits fest: Physik. Der Vater war Naturwissenschaftler in leitender Position bei Henkel, die Mutter unterrichtete Sprachen, Blume selbst spielte Klavier. "Sprachen fielen weg, da ich Latein nicht mochte", sagt sie. Gegen das angedachte Musikstudium sprachen gleich zwei Gründe: "Meine Klavierlehrerin bescheinigte mir zwar das Talent, meinte aber, für ein Musikstudium sei ich zu faul", sagt sie heute lachend. "Und mein Vater sagte: Falls du nicht heiratest, studiere lieber etwas Vernünftiges."

Der Vater behielt recht: Blume heiratete nie und war immer froh über den Rat. Im Fach Physik war sie Anfang der 40er Jahre als Frau noch eine Exotin. An der Uni Bonn war sie die zweite Frau, die sich überhaupt für das Fach einschrieb. Insgesamt drei Frauen und 17 Männer gab es schließlich an ihrer Fakultät. Mit den männlichen Kommilitonen in ihrem Alter habe es nie Schwierigkeiten gegeben. "Die älteren Studenten, die die Versuche leiten durften, haben uns Mädchen allerdings nicht für voll genommen. Immer sollte eines der Mädchen die Versuchsanordnung noch einmal erklären und dann waren sie überrascht, wenn wir das tatsächlich konnten."

Der Krieg ging auch an Studenten nicht spurlos vorüber. Wenn in Köln Fliegeralarm war, mussten auch die Bonner in die Keller. Gerne hätte sie an die Universität Tübingen gewechselt, doch das kam nicht infrage. "Die Kommunikation war damals schwierig, dort hätte ich schlecht erfahren, wenn meinen Eltern in Düsseldorf etwas passiert wäre." Sie selbst hatte Glück, nicht in die Fänge des Regimes zu geraten: Eines Tages machte die Gestapo eine Razzia in dem privaten Studentenwohnheim, in dem sie wohnte. Ein Freund meldete sich bei ihr und ließ das Wort "Aqua" fallen. Da wusste sie, es wird ernst. Aqua, Wasser, war ihr geheimes Codewort für "Uns steht das Wasser bis zum Hals." Bei zwei Mitbewohnern wurde die Gestapo fündig. Sie hatten verbotene Flugblätter und Schriften versteckt und wurden sofort abgeführt. Blume hatte Glück: "Meine Vermieterin hatte den Männern von der Gestapo gesagt 'Bei ihr brauchen Sie nicht nachzusehen. Sie macht sowas nicht'. Sie glaubten ihr und gingen nicht mein Zimmer." Dabei hatte auch sie Material, dass nicht gefunden werden durfte - zum Beispiel Grimms Märchen, die sie gemeinsam mit Freunden mit eindeutigen Anspielungen auf das Nazi-Regime umgedichtet hatte. Doch auch zum Kriegsende hörten die Schwierigkeiten nicht auf. So konnte sie nach dem Diplom ihr Staatsexamen erst mit einem halben Jahr Verspätung ablegen - weil sie vom noch deutschen Düsseldorf nicht in das bereits britisch besetzte Bonn reisen durfte.

Trotz des Diploms und guten Empfehlungen ehemaliger Kommilitonen - der Weg in die Industrie blieb ihr verwehrt. "Als ich beim Vorstellungsgespräch gesagt habe, dass ich nicht nur Assistentin bleiben, sondern später auch eine Abteilung leiten möchte, hat der Chef schallend angefangen zu lachen." Sie wurde Lehrerin, später Studiendirektorin und arbeite an einem Gymnasium in Leverkusen. Die Prüfung zur Beförderung bestand sie - selbstverständlich - als Beste.

(arm)
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