Interview mit Bernhard Paul "Zirkus muss ein Feinkostladen auf Rädern sein"

Düsseldorf · Nach drei Jahren gastiert der Circus Roncalli vom 26. Mai bis zum 19. Juni wieder im Rheinpark. Der Vorverkauf hat bereits begonnen.

 Bernhard Pauls Paraderolle: Als Clown "Zippo" wird der Roncalli-Chef ab Mai in Düsseldorf in der Manege stehen.

Bernhard Pauls Paraderolle: Als Clown "Zippo" wird der Roncalli-Chef ab Mai in Düsseldorf in der Manege stehen.

Foto: andreas endermann

Mit dem Programm feiert die Kompanie, die ihr Heimatbüro und Winterquartier in Köln-Mülheim hat, ihr 40-jähriges Bestehen im vergangenen Jahr.

1975 wurde der Circus Roncalli von Bernhard Paul gegründet. Der 68-jährige gebürtige Österreicher wird auch bei der kommenden Tournee als Clown "Zippo" zu sehen sein. Bernhard Paul zeigte sich im Gespräch mit unserer Redaktion redselig und sprach mit uns über große Gefühle, übertriebenen Tierschutz und Gemeinsamkeiten mit Picasso.

Herr Paul, was hat sich in 40 Jahren Circus Roncalli verändert, welche Bilanz ziehen Sie nach all der Zeit?

Paul Vor allem eins hat sich entscheidend verändert: Die Leute haben viel weniger Zeit als früher. Wer schreibt schon noch lange Briefe, drückt episch seine Gefühle aus? Heute gibt es nur noch knappe Sätze per SMS, ,Ich liebe dich.' Punkt. Dabei ist der Zirkus der Ort der Gefühle. Roncalli ist ein Gefühl. Wir orientieren uns für Shows auch an anderen Metiers wie Filmen, Theater oder Rockkonzerten. Vor allem bei Musikvideos, Werbung oder Filmen sieht man, dass die heute viel schneller geschnitten sind. So ist es auch im Zirkus. Unser Timing ist schneller geworden, wir müssen das Publikum auf Trab halten. 40 Jahre sind in der Show-Branche ja ein biblisches Alter. Da muss der Kapitän auch mal den Kurs ändern und sich trotzdem treu bleiben. Es sind noch nie so viele Zirkusse gestorben wie in den vergangenen zehn Jahren. Zirkus muss Ausgewähltes bieten, ein Feinkostladen der Artistik auf Rädern sein.

Was erwartet die Zuschauer im neuen Programm?

Paul Wir wollen die Roncalli-Geschichte erzählen. Es muss beim Zuschauer ein Déjà-vu auslösen und gleichzeitig in die heutige Zeit führen. Es wird Musik und Nummern aus früheren Zeiten geben wie den Pantomimen Pic mit seinen Seifenblasen. Figuren werden durch das Programm führen. Meine Kinder studieren derzeit eine neue Trapeznummer ein. Seit einem Jahr sind wir bereits mit der Inszenierung beschäftigt, und ich kann Ihnen sagen, es wird sehr erstaunlich. In Paris habe ich eine Truppe junger Leute gesehen, die atemberaubende Luftnummern von einem Gestell aus aufführten, das aussieht, als könnte es eine Ufo-Landestation sein. Sie haben mich so beeindruckt, dass ich sie sofort engagiert habe. Und ich habe wirklich schon vieles gesehen.

Viele Zirkusse sind in den vergangenen Jahren von Tierschützern kritisiert worden. Auf der Düsseldorfer Kirmes wurde das Ponyreiten abgesagt. Sie werben sogar damit, dass Sie keine wilden Tiere einsetzen.

paul Wir waren der erste Zirkus, der ohne Schau wilder Tiere angetreten ist. Ich habe aber ein ganz anderes Credo als diese Tierschutzorganisation Peta. Sie haben die Meinung ,Zirkus ist Tierquälerei'. Das hat dieselbe Qualität wie zu sagen ,Alle Ausländer sind kriminell'. Die Organisation vergisst dabei: Es gibt auch Zuneigung zwischen Mensch und Tier. Wir arbeiten ausschließlich mit Pferden. Das Pferd ist seit tausenden von Jahren domestiziert. Wenn man es richtig füttert und pflegt, ihm genug Auslauf bietet und lieb zu ihm ist, ist alles in Ordnung. Was überall abhandenkommt, ist das Maß, die Vernunft. Da gibt es Menschen, die gehen erst gegen Tierquälerei auf die Straße und später Chicken Wings essen. Gegen Massentierhaltung sollten sie sich starkmachen.

Wie sieht es mit Ihren Plänen aus, Sie werden im kommenden Jahr 70. Denken Sie manchmal ans Aufhören?

Paul Hat Keith Richards mit 70 aufgehört, Musik zu machen? Hat Picasso das Malen drangegeben? Alle bekannten Dichter haben bis ins hohe Alter geschrieben. Wenn Künstler ihre Kunst machen, gibt es keine Altersgrenze.

Worauf freuen Sie sich bei Ihrer Visite in Düsseldorf besonders, was schätzen Sie an dem Spielort?

Paul Düsseldorf ist eine der Städte, wo wir von Anfang an gastiert haben. Die Leute kommen teilweise in der dritten Generation zu uns. Ich freue mich immer, wenn die Zuschauer mir erzählen, wie sie sich als Kind auf den Zirkus gefreut haben und dass sie jetzt mit ihren Kindern kommen. Und etwas wiedererkennen. Und am Rhein haben wir natürlich einen sehr schönen Platz. Das ist nicht oft so, dass wir in einer Stadt immer wieder am gleichen Platz spielen, so wie in Wien am Rathausplatz. Das sind Dinge, aus denen Träume gestrickt werden. Als Wiener sind mir auch die Rheinländer nah. Ich meine, es gibt so ein Sprichwort: ,Wo die Römer waren und Wein angebaut wird, da lass' dich nieder.' Da haben das Rheinland und Wien etwas gemeinsam.

VERENA PATEL FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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