Aktion Die andere Sichtweise von Ordnung

Düsseldorf · Wie den Korken aus der Flasche zu lassen, sei es gewesen, als er seine Legasthenie endlich öffentlich machte. "Die Botschaft musste einfach raus. Und als meine Familie so positiv auf das Plakat reagierte, fiel mir ein Stein vom Herzen", sagt Udo Paulus. Das Plakat, auf dem neben dem Porträt des Düsseldorfer Unternehmers steht: "Ich bin ein Legastheniker! Ist das dumm oder nu(h)r doof?". Eben dieses Plakat hängt jetzt in 180 Schulen, Büchereien und anderen Institutionen, um zum Aktionstag für Legasthenie, der gestern begangen wurde, ein Zeichen zu setzen.

 Unternehmer Udo Paulus ist Legastheniker. Mit einer Plakataktion will er über die Lese- und Rechtschreibschwäche aufklären.

Unternehmer Udo Paulus ist Legastheniker. Mit einer Plakataktion will er über die Lese- und Rechtschreibschwäche aufklären.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Wie den Korken aus der Flasche zu lassen, sei es gewesen, als er seine Legasthenie endlich öffentlich machte. "Die Botschaft musste einfach raus. Und als meine Familie so positiv auf das Plakat reagierte, fiel mir ein Stein vom Herzen", sagt Udo Paulus. Das Plakat, auf dem neben dem Porträt des Düsseldorfer Unternehmers steht: "Ich bin ein Legastheniker! Ist das dumm oder nu(h)r doof?". Eben dieses Plakat hängt jetzt in 180 Schulen, Büchereien und anderen Institutionen, um zum Aktionstag für Legasthenie, der gestern begangen wurde, ein Zeichen zu setzen.

Dass Udo Paulus so selbstbewusst und vermeintlich locker mit seiner Legasthenie umgehen kann, war für den heute 59-Jährigen lange alles andere als selbstverständlich. "Zu meiner Schulzeit war Legasthenie kaum bekannt. Ich sei zu dumm, sollte üben, um meine Fehler zu korrigieren. Fünfzigmal musste ich denselben Satz abschreiben, wurde als Schlechtester im Diktat vor der ganzen Klasse bloßgestellt. Für ein Kind sind das Nadelstiche in die Seele", erzählt Paulus. Denn ein Legastheniker lernt Orthografie nicht, indem er dasselbe Wort wieder und wieder abschreibt. "Als Legastheniker kennt man Dimension und Bedeutung des Wortes, aber man schafft es nicht, die Buchstaben in der richtigen Reihenfolge aufs Papier zu bringen", versucht der Unternehmer zu erklären. "Deshalb ist Legasthenie für mich keine Krankheit, sondern nur eine andere Sichtweise von Ordnung."

Diese andere Sichtweise hat Paulus, für sich zu nutzen gelernt. Heute schreibt er Gedichte. Heinz Erhardt ist sein Vorbild, er bewundert dessen Spiel mit den Worten. Und er hat es geschafft, seine Dimension der Dinge in die Realität zu transportieren, entwirft und baut mit seiner eigenen Firma "Raumwelten Paulus" Messestände. "Udo ist ein Träumer" stand einst auf seinem Zeugnis. "Aber der Klassenbeste von damals arbeitet heute in der Verwaltung", sagt Paulus. "Meine Geschäftspartner wissen meine Kreativität zu schätzen. Rechtschreibfehler in Geschäftsschreiben entschuldigen sie gern, das ist eben nicht mein Steckenpferd." Ein bisschen Wehmut schwingt dennoch mit, wenn Paulus von seiner Erfolgsgeschichte berichtet. Sein früherer Rektor sagte ihm später, es sei schade, eigentlich hätte er studieren müssen. "Doch die Chance bekam ich nicht. Dafür war die Bedeutung von Rechtschreibung und Zeugnisnoten zu groß." Bis heute kann Paulus keinen vernünftigen Text zu Papier bringen, wenn ihm jemand über die Schulter schaut. Er gewöhnte sich als Schüler eine "Sauklaue" an, damit niemand seine Fehler entziffern konnte. "Man entwickelt als Kind Strategien und Schutzmechanismen. Man hält sich selbst für blöd, lernt, sich zu ducken und die Demütigungen zu ertragen." Damit es heute keinem Kind mehr so ergehen muss wie ihm, wagte Paulus den Schritt in die Öffentlichkeit. Denn trotz des höheren Bekanntheitsgrades sei Legasthenie für viele immer noch ein Tabuthema, sagt auch Birgit Jantsch von der Initiative "las legas", die sich für legasthene Menschen einsetzt und die Plakataktion ins Leben gerufen hat. "Es gibt heute deutlich mehr vorbildliche Pädagogen, aber ebenso immer noch diejenigen, die legasthene Kinder einfach als dumm oder faul abstempeln." Bei betroffenen Familien sei das Schamgefühl oft groß. Mit den Plakaten will Jantsch die Akzeptanz für legasthene Menschen stärken. "Den Kindern wird in der Schule das Selbstbewusstsein genommen. Wir wollen zeigen, dass auch Legastheniker wie Udo Paulus Großes schaffen können." Julia Chladek

(RP)
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