Musik Der Retter der Comedian Harmonists

Düsseldorf · Der Schatz der legendären Gesangsgruppe Comedian Harmonists liegt in einer unscheinbaren, braunen Pappschachtel im Safe der Robert-Schumann-Hochschule.

 Ein Kampf gegen die Zeit: Karsten Lehl digitalisiert Platten der Comedian Harmonists, darunter unveröffentlichte Probeaufnahmen und Gespräche.

Ein Kampf gegen die Zeit: Karsten Lehl digitalisiert Platten der Comedian Harmonists, darunter unveröffentlichte Probeaufnahmen und Gespräche.

Foto: bauer

Seinen Inhalt und Wert kennt zurzeit allerdings noch niemand so genau. Denn die rund 50 Gelatine- und Schellackplatten aus dem Nachlass des Berliner Vokalensembles, das mit Liedern wie "Mein kleiner grüner Kaktus" und "Ich wollt' ich wär' ein Huhn" auch rund 80 Jahre nach der Veröffentlichung noch bekannt ist, lagerten in den vergangenen Jahrzehnten bei verschiedenen Nachlassverwaltern und damit verborgen vor den Augen Öffentlichkeit.

Wenn Karsten Lehl, Archivar der Musikhochschule, eine Platte aus dieser braunen Pappschachtel hinausnimmt und sie auf den Schallplattenspieler auflegt, ist das also immer wie der Griff in eine Wundertüte: aufregend und überraschend. Die Platten stammen aus dem Nachlass von Robert Biberti (1902-1985), der Bassstimme des Vokalensembles, und "sind eine weit gestreute Sammlung aus teilweise unveröffentlichten Probeaufnahmen, Übungsplatten und Mitschnitten von privaten Gesprächen", so Lehl.

Die erste Platte, in die Lehl hineinhört, ist eine Übungsplatte von Biberti für ein Arrangement von "Der Onkel Doktor hat gesagt, ich darf nicht küssen" und zeigt, wie schwer es teilweise für die Bandmitglieder war, ihre Lieder in dem für sie bekannten Tempo und auf dem hohen Niveau zu singen. Was bei den Auftritten in den 1930er Jahren so mühelos und gekonnt klang, hat bei den Proben schon mal für Frust gesorgt. "Am Schluss des Liedes ist Biberti etwas genervt und das ist auch lustig", sagt Lehl und lacht. Auf einer Platte steht gar in Handschrift "Mist".

Dass selbst die hochklassige Gruppe mit ihrem Gesangsstil ab und zu mal zu kämpfen hatte, tut gut. Schließlich ist Lehl selbst klassisch ausgebildeter Sänger (Bariton) und seit 1992 Mitglied der Musikgruppe "Six Ensemble", die die Lieder der Comedian Harmonists schon in der Semperoper Dresden und im Konzerthaus Wien präsentierte - auch im Frack, wie einst die Vorbilder: "Die Musik ist herausfordernd, aber sie hat auch einen hohen Spaßfaktor: Die Texte der 1920er und 1930er Jahre sind wahnsinnig präzise, frech und auch witzig, und die Musik insgesamt auf hohem Niveau und mit dem, was heute deutscher Schlager ist, nicht zu vergleichen", meint Lehl.

Über seine Musikgruppe ist auch der Kontakt zum Nachlassverwalter entstanden. "Wir wollten die originalen Arrangements ohne Abstriche machen und der Verwalter gab mir Einblick in den Notennachlass." Als der Verwalter dann jemanden suchte, der die Platten für die Nachwelt rettet, "da konnte ich ihm etwas anbieten", sagt Lehl und lacht. Denn Lehl kümmert sich an der Robert-Schumann-Hochschule um die Digitalisierung historischer Tonträger.

Platte für Platte nimmt er sich dabei vorsichtig vor und legt sie auf einem Plattenspieler auf. Eine Stunde dauert schon mal das Überspielen einer Seite. "Das Digitalisieren ist ein Kampf gegen die Zeit, teilweise zerfallen die Platten einem unter den Fingern", sagt Karsten Lehl. Dabei hört er auch skurrile, teilweise unterhaltsame Aufzeichnungen. So hat Biberti sogar Gespräche mit dem Finanzamt aufgezeichnet (die Band gehörte damals zu den Großverdienern der Branche, und Biberti schien sich absichern gewollt zu haben) und Momente, in denen er mit seinen Kollegen nach ein paar alkoholischen Getränken herumblödelte. "Das ist manchmal eine unterhaltsame Arbeit", sagt Lehl.

Dank des Einblicks in die bisher unveröffentlichten Platten aus den Jahren 1933 bis 1942 - insgesamt sind es 150 - wird Lehl auch dabei helfen können, offene Fragen über Privatleben und Karriere der legendären Band in Büchern und wissenschaftlichen Arbeiten zu ergänzen oder sogar zu korrigieren. So gibt es zum Beispiel unterschiedliche Meinungen darüber, wer schuld am Aus der Gruppe 1935, wer welchen Kollegen bei der Gestapo denunzierte und ob es Versuche der Versöhnung gab, nachdem die Gruppe durch Berufsverbote der Nazis auseinandergerissen wurde. Die Platten helfen, einen Einblick in die Charaktere und Schicksale der Meistersänger zu erhalten, in ihre Freundschaften und auch Feindschaften, nicht zuletzt auch unter dem Vorzeichen der NS-Diktatur.

Aus dem Fan der Comedian Harmonists, Karsten Lehl, ist ihr Retter geworden - und auch der Wächter des Schatzes in der braunen, unscheinbaren Pappschachtel im Safe der Robert-Schumann-Hochschule. Denn Lehl will die teilweise sehr privaten Platten der legendären Comedian Harmonists davor bewahren, dass sie zu rein kommerziellen Zwecken auf den Markt geworfen werden. Nur auf Anfrage erhält man Einblick in die Aufzeichnungen. Dabei muss man Lehl dann auch erklären, warum man in die Platten hineinhören will und was man mit dem Gehörten vorhat.

(semi)
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