Serie Düsseldorfer Geschichten Sprit für die autogerechte Stadt

Düsseldorf · Erst Ende der 1920er Jahre wurden in Düsseldorf die ersten Tankstellen errichtet, die den heutigen durchaus ähnelten.

 Ende der 1940er Jahre eröffnete Franz Tober auf den Trümmergrundstücken des nördlichen Schadowplatzes seinen "Tankdienst". Heute befindet sich hier ein Teil des Kö-Bogens.

Ende der 1940er Jahre eröffnete Franz Tober auf den Trümmergrundstücken des nördlichen Schadowplatzes seinen "Tankdienst". Heute befindet sich hier ein Teil des Kö-Bogens.

Foto: Landesarchiv NRW / C. A. Stachelscheid

Schön war sie nicht, die Tankstelle am Carlsplatz. Sie war alt, verbaut und wenig einladend. Aber sie hatte Charakter. Sie war eben genau das, was sich wohl die meisten bis heute unter einer Tankstelle vorstellen. Hier wurde mehr Benzin als Alkohol verkauft. Und damit entsprach sie der allgemeingültigen Definition, wonach eine Tankstelle eine Versorgungsanlage ist, an der Kraftfahrzeuge mittels Zapfsäulen mit Kraftstoff versorgt werden. Einen durchgehend geöffneten Supermarkt mit Zapfsäulen für Benzin und Diesel nennen wir dagegen heute Tanke, und sie ist der dominierende Typ. So listen die Gelben Seiten von Düsseldorf in der Rubrik "Tankstellen" 83 Stationen auf. Nur gut ein Dutzend entspricht noch der klassischen Definition. Mit der Tankstelle am Carlsplatz ging am 30. September - nach 48 Jahren - ein Stück der rund 100-jährigen Düsseldorfer Tankstellen-Kultur dahin.

Dabei waren die Anfänge aus heutiger Sicht bizarr: Als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Motorwagen durch Düsseldorf knatterten, mussten die Fahrer den Treibstoff in Apotheken, Drogerien und Kolonialwaren-Handlungen kaufen, da eigene Verkaufsstellen für Kraftstoffe noch gänzlich unbekannt waren. Das Benzin wurde in Kanistern, Kannen oder Flaschen abgegeben. Anders wurde das, als sich die ersten Fahrzeughändler in der Stadt niederließen. Seitdem konnten sich Düsseldorfer Automobilisten dort mit Benzin versorgen, wo sie auch die Wagen kauften: bei Mercedes an der Graf-Adolf-Straße, bei NSU an der Worringer Straße oder bei Dürkopp an der Königsallee.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges waren in Düsseldorf 1083 Kraftfahrzeuge angemeldet. Nun tauchten immer mehr Zapfanlagen vor Autohäusern, Werkstätten, Gasthäusern und Geschäften auf. Die Idee, Benzin mit einer Handpumpe aus einem unter der Bürgersteigdecke eingelassenen Tank direkt in das Fahrzeug zu füllen, kam aus den USA nach Europa.

Dabei waren die Tankanlagen am Straßenrand durchaus umstritten: Die Feuerpolizei hatte erhebliche Bedenken gegen die Lagerung und die Abgabe von Benzin im öffentlichen Straßenraum, viele Bürger beschwerten sich über die "benzinöse Geruchsbelästigung" vor ihren Häusern. Erst Ende der 1920er Jahre wurden in Düsseldorf die ersten Benzinstationen mit den Merkmalen errichtet, die bis heute für Tankstellen gelten: Trennung vom Verkehr durch Zu- und Abfahrt, ein Kassenhaus, Tankinsel mit Zapfsäulen, ein großes Dach als Wetterschutz und auffällige Werbetafeln.

Seit den 1930er Jahren stiegen die Zulassungen rasant. Waren es 1928 noch 8970 Fahrzeuge, so wurden 1938 in Düsseldorf bereits 31.791 Zulassungen registriert. Als mit Beginn des Zweiten Weltkriegs die Abgabe von Treibstoffen staatlich kontrolliert und rationalisiert wurde, brachen die Umsätze der Tankstellen ein. Auch in Düsseldorf mussten einige Tankstellen den Betrieb einstellen. Zunächst wegen Unrentabilität, später wegen massiver Kriegszerstörungen.

Nach Kriegsende war Benzin ein teuer gehandeltes Gut, das es nur auf Marken oder auf dem Schwarzmarkt gab. Erst 1951 hoben die Alliierten die Zwangsbewirtschaftung auf. Danach setzte, befeuert vom Wirtschaftswunder, ein bisher nicht gekanntes Branchenwachstum ein. "Gefühlt" gab es damals an jeder Ecke eine Station. Selbst dort, wo die Stadt heute am teuersten ist, stand eine Tankstelle: gleich am Kö-Bogen. Als Franz Tober Ende der 1940er Jahre auf den Trümmergrundstücken des nördlichen Schadowplatzes einen "Tankdienst" eröffnete, konnte er nicht ahnen, dass sein Betrieb bald der Anlage des Straßenbahn-Knotens Jan-Wellem-Platz im Wege stand. Noch weniger konnte er voraussehen, dass sich auf seiner Tankstelle einmal Nobelgeschäfte erheben würden.

Obwohl Shell, Esso, Aral und BP schon früh am Aufbau eigener Tankstellennetze mit jeweils einheitlichem Erscheinungsbild arbeiteten, hatte das Tanken in der Nachkriegszeit noch immer einen persönlichen Charakter. Der Tankwart hieß Willi, Theo oder Jupp und begrüßte die Kunden mit Namen. Er kannte ihre Wünsche und die Macken ihrer Fahrzeuge, er reinigte die Scheiben und sah nach dem Öl. Es gab Gespräche über Politik und Fußball, hier erfuhr man das Neueste aus der Nachbarschaft.

In Architektur und Stil waren die Nachkriegstankstellen in jeder Hinsicht avantgardistisch: So entstanden in den 1950er und 1960er Jahren Tankstellen, die noch heute ein Blickfang sind. Vor allem die Dächer wurden immer gewagter und ausgefallener: großflächig, ohne Stützen, den Tankraum überspannend und in Firmenfarben verkleidet.

Dem Boom folgten Absturz, Uniformierung und zuletzt die Verfremdung. Nach der Ölkrise in den 1970er Jahren war es vorbei mit der Frage "Super oder Normal?" Fortan wurde lieber günstig selbst getankt. Die Individualität, Vielfältigkeit und vor allem die Leichtigkeit, die die Tankstellenarchitektur des Wirtschaftswunders auszeichnete, gingen verloren und wichen schnödem Standard. Auch der Tankwart verlor seine eigentliche Aufgabe und verkaufte fortan belegte Brötchen, Süßwaren und Getränke. Zunächst im Kiosk-Format, später im Supermarkt-Stil. Heute erzielen in Düsseldorf fast alle Tankpächter mehr als 50 Prozent ihres Einkommens aus dem Shop- und Snackgeschäft.

Der letzte Pächter der Tankstelle am Carlsplatz hieß übrigens Torsten Bursch. Tschüs Torsten. Und gute Fahrt!

(RP)
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