Irish Travellers in Düsseldorf Im irischen Dorf auf den Rheinwiesen

Sie sind erzkatholisch, wenig gesprächig und extrem neugierig: Irish Travellers, oft despektierlich "Tinker" genannt, haben nach Kevelaer und Neuss nun 18 Stunden auf den Rheinwiesen kampiert. Ein Besuch bei Menschen, deren Heimat der Wohnwagen ist.

Zu Gast bei Irish Travellers in den Rheinwiesen in Düsseldorf
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Zu Gast bei Irish Travellers in den Rheinwiesen

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Foto: Hans-Juergen Bauer

Jesus lebt. In der Ablage über dem Sofa, im Heck eines von zwei beigen Caravans, den Shelley (alle Namen geändert) mit ihren zehn Kindern bewohnt. Jesus lebt auf Postkarten, auf Kalenderblättern, als Figürchen. Ein Altar im Staufach. Den Logenplatz auf der Arbeitsfläche unter dem Fenster, neben Votivkerzen und einer Kristallschale, haben aber Josef, Schutzpatron der Zimmerleute, und der heilige Florian, der in voller römischer Uniform brennende Häuser löscht. Auch ein Haus mit Rädern will in Stand gehalten und vor Feuergefahr beschützt werden.

Derart behütet sitzt Shelley mit ihrer Schwägerin Kylie und zwei Schwiegertöchtern im Wohnwagen. Es gibt starken schwarzen Tee in geblümten Bechern mit Goldrand. "Du musst deinen Tee mit Milch trinken", sagt Kylie. Keine Widerrede.

Eine Horde Kinder zwischen zwei und zwölf spielt draußen auf der Wiese. "Komm von der Straße weg!", brüllen Kylie und Shelley abwechselnd aus der Tür. Drinnen wird nicht geraucht, oder nur, indem man seine Zigarette aus dem gekippten Plexiglasfenster hält. Auf der Anrichte steht eine leere Plastiktüte aufrecht, die mal Toast enthielt. Draußen vor der Tür zwei volle Mülleimer.

Die Traveller sind im Rheinland nicht willkommen

Shelley und Kylie und die knapp 500 anderen Menschen in den 90 Wohnwagen haben illegal ihr Lager auf den Rheinwiesen aufgeschlagen. Wild campen - eine Ordnungswidrigkeit, die die Stadt noch bis 14 Uhr dulden wird. Jetzt ist es zwölf, und Shelley gibt sich sicher: Bis morgen mittag dürften sie und ihre Kinder bleiben. Vielleicht ist aber auch der Wunsch Vater des Gedanken.

Die Traveller kommen gerade aus Neuss, wo sie einen Platzverweis bekommen haben. Vorher waren sie in Kevelaer - "zum Beten", sagt Kylie. Auch dort waren sie wenig willkommen. Sie tränken, feierten laut, würden wild Auto fahren und ihre bissigen Hunde frei laufen lassen. Außerdem hinterließen sie sehr viel Müll, sagen die Menschen in Kevelaer und Neuss.

Stimmt nicht, sagt Kylie. "Wir zahlen 50 Euro für die Entsorgung. Pro Wohnwagen." Es ist nicht klar, an wen. "Tinker." Kylie verzieht das Gesicht. "Das ist nicht nett." Warum? "Ich weiß nicht. Es ist nicht nett." — "Wir sind Irish Gypsies", sagt Shelley entschieden. "Oder Irish Travellers."

Es ist schwer, Shelleys Alter zu schätzen. Sie ist nicht geschminkt und trägt ihr lockiges, blondiertes Haar locker zusammengebunden. "Ich fühle mich wie fünfzig." Kylie ist auch blond und sehr braun gebrannt. Sie sei 21, sagt sie. Oder doch 31? Sie ist seit 14 Jahren verheiratet und hat vier Kinder. Was sie den ganzen Tag macht? "Putzen. Aufräumen. Kochen." Wovon sie lebt? "We manage." Wir kommen zurecht.

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Foto: gerhard berger

Tausend Fragen, zu allem von Gesichtscreme bis Kinderwunsch

Statt zu antworten, stellen die Frauen lieber Fragen. Eine nach der anderen, manche mehrmals. Bist du verheiratet? Hast du Kinder? Willst du Kinder? Wie viel verdienst du? Wie oft gehst du zum Zahnarzt? Wo wohnst du? Hast du ein Haus? Was kostet die Miete? Was passiert, wenn man einen Zigarettenstummel auf die Straße wirft? Kennst du ein Mittel, wie man schnell schwanger wird? Wann hast du Feierabend? Wo kann man sich hier die Nägel machen lassen? Welche Hautcreme benutzt du? Und auch: Wie viel Kindergeld bekommt man in Deutschland? Über die Summen aus dem Wikipedia-Artikel können Shelley und Kylie nur staunen. Ihre zehn Kinder würden Shelley zu einer reichen Frau machen — jedenfalls nach den Maßstäben der Traveller.

Die Kinder sammeln Kleingeld in einer leeren Keksdose und holen sich ein Eis. Kylie hält eine Waffel mit Schokolade und Vanille hoch. "Hat der Kleine für dich geholt", sagt sie sanft. "Iss es." Keine Widerrede.

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Foto: Hans-Juergen Bauer

"Hier trinkt keiner", sagt ein freundlicher, distanzierter Mann

Wo sind all deine Söhne, Shelley? Wo sind eure Männer? Keine Antwort. Die Männer stehen in Gruppen zu fünf und zehn auf der breiten Straße zwischen den Wohnwagen und diskutieren wichtige Geschäfte. Einer nimmt nach viel Zögern eine Flasche Altbier als Gastgeschenk entgegen. "Hier trinkt keiner", sagt dieser sehr freundliche, sehr distanzierte Mann. Der leere Kasten Warsteiner dort drüben muss Alkoholfreies enthalten haben. Vier Mädchen laufen vorbei, stark geschminkt, aufwendig frisiert. "Hast du einen Freund?", ruft eine. "Ich bin elf. Ich habe einen Freund. Wir heiraten, wenn ich 15 bin." Vielleicht in Kevelaer oder in Lourdes? Ganz sicher katholisch.

(hpaw)
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