Zweifel an Gründungsdatum Die Schützen werden 700 Jahre - vielleicht

Düsseldorf · Der St. Sebastianus Schützenverein feiert dieses Jahr sein Jubiläum. Das offizielle Gründungsdatum hält Historiker Ulrich Brzosa für plumpe Geschichtsfälschung und legt neue Beweise vor. Schützenchef Lothar Inden will jetzt eine offene Diskussion.

 Die aktuelle Chronik des großen Düsseldorfer Schützenvereins zum 700-Jährigen wurde gerade vorgestellt.

Die aktuelle Chronik des großen Düsseldorfer Schützenvereins zum 700-Jährigen wurde gerade vorgestellt.

Foto: Redaktion

Der 17. November 1954 war für die St. Sebastianer ein großer Tag. Bei der Generalversammlung in der Rheinterrasse wurde eine neue Satzung beschlossen - einstimmig. Die wichtigste Änderung war die Festlegung eines neuen Gründungsdatums. Ehrenpräsident Georg Spickhoff kündigte laut Protokoll an, "die Urkunde über das Gründungsjahr 1316 vorzulegen" - , und schon wurde der Verein im Handumdrehen 119 Jahre älter gemacht. Jene Urkunde hat Spickhoff, in Düsseldorf als Brauchtumsgröße beliebt und "d'r Schütze Schorsch" genannt, allerdings nie präsentiert. Kein Wunder, dass unter Historikern die Umbenennung äußerst umstritten ist.

Das Presseamt der Stadt schickt gleichwohl munter Texte heraus, die vom 700-Jährigen künden, und auch die Prospekte des Stadtmuseums für die Schützenausstellung, die am 12. Februar eröffnet wird, tragen die beeindruckende Zahl auf der Titelseite. Vom Zweifel ist auch im Innenteil nichts zu finden. Diese werden zwar laut Museumsdirektorin Susanne Anna in der Ausstellung dokumentiert, der unbefangene Betrachter erfährt davon aber zunächst einmal nichts. "Wir sind ein partizipatives Museum", sagt Anna dazu, "wir haben den Absolutheitsanspruch an das Forschungsergebnis aufgegeben." Zur Stadtgeschichte gehörten nicht nur Fakten und Archivalien, "sondern auch Emotionen oder Lug und Betrug". Gleichwohl packe sie alle heißen Eisen an, bei den Schützen unter anderem auch die NS-Zeit, die Entnazifizierung und auch das Verhältnis zur Homosexualität.

 Die Festausgabe der St. Sebastianer vom Juli 1935 liegt in der Bibliothek der Heinrich-Heine-Universität.

Die Festausgabe der St. Sebastianer vom Juli 1935 liegt in der Bibliothek der Heinrich-Heine-Universität.

Foto: Andreas Endermann

Warum wollten die Schützen gerne möglichst alt sein? Erst 1935 hatten sie ihr 500-jähriges Bestehen gefeiert. Dies mit Blick auf die älteste erhaltene Urkunde von 1435, die die Statuten der St. Sebastianer bestätigte. Der Verein dürfte folglich früher entstanden sein als 1435, aber wie alt er wirklich ist - das weiß wohl niemand. Die Rückdatierung rückte die Gründung nahe an die Stadtgründung 1288, das war natürlich mit mehr Glanz verbunden.

Kirchenhistoriker Ulrich Brzosa hat die Geschichte der katholischen Kirche in Düsseldorf gründlich erforscht. Schon in seinem 800-Seiten-Buch von 2001 schreibt er: "Bezeichnend für den Tiefstand der Bruderschaftsforschung ist, dass der St. Sebastianus Schützenverein bis heute sein Gründungsjahr widerspruchslos mit einer plumpen Quellenfälschung belegt." Dabei geht es um einen Artikel von Moritz Wächter von 1885 im Düsseldorfer Volksblatt, in dem er "ein altes Bruderschaftsbuch" zitiert. Auf jenes Werk haben sich andere und später auch "d'r Schütze Schorsch" bezogen - es ist vermutlich jene Urkunde, die er nie vorlegte. Wächter zitiert lateinisch, bezieht sich auf 1316, die Pest, die Pflege der Kranken und kirchliche Pflichten der St. Sebastianer.

Erst jetzt ist Brzosa auf eine neue Quelle gestoßen, und zwar im Buch von Heinrich Giersberg über die Pfarreien des Dekanates Grevenbroich. Es ist zwei Jahre vor Wächters Artikel erschienen, er konnte es also "ausschlachten". Brzosa sieht hier den Beleg dafür, dass Wächter "die Gründungsgeschichte der Düsseldorfer Bruderschaft frei erfunden hat". Er habe in den entscheidenden Passagen den Namen Allrath lediglich durch Düsseldorf ersetzt und das Gründungsjahr ausgetauscht. "Plumper geht es nicht." Die Pest von 1316 ist zudem fraglich. "Dafür gibt es in Düsseldorf und Umgebung keinen Beleg", so Stadtarchivleiter Benedikt Mauer.

Susanne Anna reagiert mit Symbolen. Auf ein Fragezeichen hinter der Zahl 700 hat sie im Prospekt verzichtet, dafür hängt sie 500 Pfeile in die Schau. Diese sollen nicht nur für den Sebastian stehen, sondern auch für Kritik; und viele Böden in den Vitrinen seien schief, "um zu zeigen, dass die Sache auf wackeligen Füßen steht". Schützenchef Lothar Inden will nun "offensiv mit dem Problem umgehen". Die Schützen wollten sich nicht mit etwas schmücken, "das am Ende nicht zu halten ist". Auch eine Rücknahme der Umbenennung schließt er nicht aus.

(ujr)
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