Ruhestand nach 40 Jahren Mein letzter Schultag

Düsseldorf · Nach 40 Jahren hat der 63-jährige Lehrer Michael Backhaus heute seinen letzten Schultag. Er berichtet, wie sich der Schulalltag im Laufe der Jahre verändert hat. Zum Abschied hat er einen Eiswagen für seine Schüler organisiert.

 Der 63-jährige Michael Backhaus ist Lehrer für Sport und Deutsch. Auch als Pensionär wird er noch sechs Stunden pro Woche unterrichten.

Der 63-jährige Michael Backhaus ist Lehrer für Sport und Deutsch. Auch als Pensionär wird er noch sechs Stunden pro Woche unterrichten.

Foto: Ralph Matzerath

Er liebt seinen Beruf und seine Wunderwaffe ist simpel: Humor. "Wenn man Kindern mit Spaß begegnet, reagieren sie auch mit Spaß darauf", sagt der 63-Jährige Michael Backhaus aus Düsseldorf. 40 Jahre lang hat er als Lehrer gearbeitet, doch nun ist Schluss. Zahlen darüber, wie viele Lehrer in diesem Jahr in NRW mit Backhaus aus dem Schuldienst ausscheiden, gibt es noch nicht. 2015 waren es laut dem Landesamt für Statistik (IT NRW) 7655.

Deutsch und Sport standen bei Backhaus vier Jahrzehnte auf dem Stundenplan, zuletzt an der Düsseldorfer Grundschule Schloss Benrath. "Als Sportlehrer war ich natürlich immer ein Star", erzählt er lachend. Doch der Grund, Lehrer zu werden, war ein anderer: "Als Nachfolge-Generation der 68er hatten wir damals eine Mission. Wir wollten die Gesellschaft von innen verändern."

Nach einigen Jahren an der Hauptschule verschlug es Backhaus 1988 an die Grundschule und dort blieb er auch. Doch über die Jahre habe sich der Schulalltag massiv verändert. Bei den Kindern finge es an. "Sie sind schwieriger geworden", so Backhaus. Viele hätten Dyskalkulie, eine Rechtschreibschwäche, Konzentrationsschwierigkeiten, Streitsucht oder andere Verhaltensauffälligkeiten. "Früher lag der pädagogisch-psychologische Anteil meiner Arbeit bei etwa 25 Prozent, heute ist es das Doppelte", sagt der Lehrer.

Einige Kinder kämen quasi mit einer "Gebrauchsanweisung" in die Schule, "der eine braucht diese Tablette, die andere hat diese Anfälle", so Backhaus. Natürlich sei das aber nicht die Schuld der Kinder. "Sie sind nur ein Abbild unserer Gesellschaft, die Leidtragenden der gesellschaftlichen Entwicklung."

In erster Linie haben die Eltern einen Einfluss auf ihre Kleinen. Überbehütung sei dabei ein ebenso großes Problem wie Verwahrlosung. "Einige Mütter oder Väter setzen ihre Kinder sehr stark unter Druck", sagt der 63-Jährige. Schon im zweiten Schuljahr stehe die Frage im Raum, ob das Kind es aufs Gymnasium schafft. Und auch die Nachhilfeinstitute für Grundschüler boomten. Doch das sei nur die eine Seite. Es gebe auch ganz viele tolle Eltern, die sich engagieren, um Feste zu organisieren, mit ins Theater oder mit auf Wanderungen kommen. "Ohne die wäre das alles gar nicht möglich", so Backhaus.

 Der Lehrer am vorletzten Tag mit seinen Schülern.

Der Lehrer am vorletzten Tag mit seinen Schülern.

Foto: Ralph Matzerath

Beim Thema Inklusion schluckt der Lehrer. Und bewertet das Konzept wie viele andere seiner Kollegen: "Hier wurden Maßnahmen beschlossen, die an sich eine gute Idee sind, die aber nicht vorbereitet und somit auch nicht gut umgesetzt werden können." Die Räumlichkeiten seien nicht für inklusives Unterrichten geeignet, leistungsstarke Kinder kämen zu kurz und auch einige Eltern der Kinder, die einen besonderen Förderbedarf haben, sehen bei der Inklusion nicht immer den richtigen Weg für ihr Kind.

Doch der drahtige 63-Jährige will nicht nur Schlechtes erzählen, im Gegenteil. Die Frage, was denn das Schönste an seinem Beruf sei, beantwortet er direkt: "Die Kinder selbst." Er habe immer deren Energie gespürt, sie seien ihm immer optimistisch entgegengekommen. Wollten etwas von ihm lernen, hatten Respekt vor ihm. "Die Kinder haben mir immer wahnsinnig viel Kraft gegeben, auch in schlechten Zeiten", sagt Backhaus.

Denn gesundheitlich ging es dem Lehrer nicht immer gut. Drei Mal musste er mehrmonatige Pausen einlegen. Einmal wegen Krebs, zweimal wegen Depressionen. Vor sechs Jahren wurde dem 63-Jährigen daher die Prostata entfernt, es habe aber keinerlei Nebenwirkungen gegeben. "Ich habe Glück gehabt", so Backhaus. Die Depression kam auf nachdem er zum Konrektor aufgestiegen war. "Das war aber nicht der richtige Job für mich", erzählt er. "Ich habe die Sorgen mit nach Hause genommen, habe das gesamte Wochenende darüber gegrübelt, welche Lehrer am Montag krank sein könnten und wie der Vertretungsplan dann auszusehen hätte." Doch er sei immer wieder gut auf die Beine gekommen. Auch aufgrund der Freiheit und der Sicherheit, die der öffentliche Dienst biete.

Bei der Geburt seines Sohnes Jan im Jahr 1986 war diese Freiheit ebenso von Vorteil. Denn bei seiner Frau, Karin Kienast, die bei der Kriminalpolizei gearbeitet hat, war die Flexibilität, etwa weniger Stunden zu arbeiten, nicht gegeben. "Nach der Geburt unseres Sohnes habe ich also meine Stunden reduziert und ihn groß gezogen, ich war der Hausmann", sagt Backhaus. Je älter der Sohn wurde, desto mehr Stunden unterrichtete der 63-Jährige auch wieder. "Es hat wunderbar funktioniert, ich hatte nie das Gefühl, dass Jan zu kurz kommt."

Auch seine Schüler kamen nie zu kurz. 50 Mal fuhr Backhaus in seinen 40 Dienstjahren auf Klassenfahrt. "Und nie ist etwas Ernsthaftes passiert. Eher hatten wir einfach viel Spaß." So mussten einmal Schüler im Wäschekeller der Jugendherberge schlafen. Backhaus hatte sie dort versehentlich eingesperrt. "Die Zimmer der Mädchen waren auf einem anderen Flur als die der Jungen. Aber natürlich haben sich die Jugendlichen nachts zu den Mädchen geschlichen", erzählt der Lehrer. Da er Geräusche gehört hatte, verließ er sein Zimmer, sah aber nichts und niemanden und legte sich wieder ins Bett. "Da der Wäschekeller auf dem Weg lag und die Jungen sich dort versteckt hatten, habe ich sie dort aus Versehen eingesperrt", so Backhaus lachend. Ärger habe es keinen gegeben, vielmehr hätten alle darüber gelacht. "Man muss dem Tag eben mit Spaß begegnen."

Genau das hat der Pensionär auch gestern getan, als er für seine Schüler der Grundschule Schloss Benrath einen Eiswagen organisiert hatte - ohne dass sie davon wussten. Und die Überraschung ist gelungen. "Trotzdem hat man aber auch gespürt, dass die Kinder traurig über meinen Weggang sind", erzählt er. Einige haben ihn fest gedrückt beim Abschied, andere haben ihm persönliche Briefe geschrieben. Außerdem hatten die Schüler gemeinsam mit den anderen Lehrern ein Abschiedslied einstudiert: Queens "We will rock you" mit auf Backhaus bezogenen Texten. "Das war emotional schon sehr bewegend, da fällt der Abschied nicht ganz leicht", erzählt er. Von den Eltern gab es einen Liegestuhl.

Doch wie geht es nun weiter für den 63-jährigen Neu-Ruheständler? "Ich bin noch nicht ganz weg", verrät Backhaus. Sechs Stunden pro Woche wird er weiterhin unterrichten, nur Schwimmen und Eislaufen. "Ich brauche die Kinder noch." Stufenweise will er dann komplett aussteigen. Die gewonnene freie Zeit will Backhaus für Hobbys nutzen.

Motorräder sind seine große Leidenschaft, außerdem hat er sich ein Kajak gekauft und kann sich auch vorstellen, ehrenamtlich zu arbeiten. "Und wenn ich die Schule zu sehr vermisse, könnte ich auch wieder mehr arbeiten. Es herrscht schließlich sowieso Lehrermangel."

(sno)
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