Restauriertes Wandgemälde Lichtensteins verborgenes Meisterwerk an der Uni Düsseldorf

Düsseldorf · Im Oktober 1970 reiste Roy Lichtenstein nach Düsseldorf, um sein neues Wandgemälde in der Uni zu signieren. Nun wurde es restauriert und gilt als Solitär im Gesamtwerk des Künstlers.

51,14 Meter misst das Gemälde von Roy Lichtenstein, knapp 100.000 Euro hat die Restaurierung gekostet. Rund die Hälfte hat der Verein der Freunde und Förderer der Uni zu ihrem 50. Geburtstag geschenkt.

51,14 Meter misst das Gemälde von Roy Lichtenstein, knapp 100.000 Euro hat die Restaurierung gekostet. Rund die Hälfte hat der Verein der Freunde und Förderer der Uni zu ihrem 50. Geburtstag geschenkt.

Foto: Andreas Bretz

Im Kino lief gerade "Wenn die tollen Tanten kommen". Bei Mannesmann streikten die Metallarbeiter für eine Lohnerhöhung von 15 Prozent. Die Stadtspitze suchte eine Idee für die Zukunft des Schlossturms und zog eine Nutzung als "antiautoritäres Aktionszentrum" in Erwägung. Die LTU (Vorgängerin der maroden Airberlin) setzte ihren Höhenflug fort und meldete einen Umsatz-Rekord. Und in der Rheinischen Post stand am 14. Oktober 1970 eine gerade mal 30 Zeilen lange Meldung über ein neues Kunstwerk in der Düsseldorfer Uni, auf dem Foto daneben war Roy Lichtenstein zu sehen, Star der Pop-Art-Szene in New York.

Michael Schubert (links) und Thomas Brüning haben das Werk drei Monate mit großem Aufwand restauriert.

Michael Schubert (links) und Thomas Brüning haben das Werk drei Monate mit großem Aufwand restauriert.

Foto: Bretz Andreas

Heute gilt dieses Werk nach Einschätzung der Lichtenstein-Foundation als das einzig verbliebene in Verbindung mit Architektur - weltweit. Nun ist es wieder in alter Frische zu sehen.

"Dieses Werk ist Jahrzehnte unterschätzt worden"

Bedeutend heißt ja nicht bekannt. Oder gar geliebt. Tausende Studenten dürften jede Woche durch das Foyer der Vorklinischen Institute in die Vorlesungen eilen. Ob sie wohl auf die großflächigen Wandgemälde "Brushstroke" achten, auf die dicken, stark farbigen Pinselstriche, die sich rasant zwischen und um die Türen der Hörsäle schwingen? "Dieses Werk ist Jahrzehnte unterschätzt worden", sagt Andrea von Hülsen-Esch, Pro-Rektorin und Professorin für Kunstgeschichte. Aber das ändert sich vielleicht gerade.

Dass dieses Werk überhaupt in Düsseldorf landete, ist dem Architekten des Gebäudes, Konstanty Gutschow, zu verdanken. Er sah 1966 auf der Biennale in Venedig zum ersten Mal ein Werk von Roy Lichtenstein im amerikanischen Pavillon, lernte den Schöpfer kennen und schrieb anschließend beeindruckt in sein Reisetagebuch, dass er soeben auf einen der bedeutendsten Maler der modernen Malerei gestoßen sei. Zu dieser Zeit war der Hamburger Architekt mit seinem Kollegen Jens-Peter Volkamer gerade mit den ersten Entwürfen für die Düsseldorfer Uni beschäftigt. Dabei keimte der Gedanke, dass ein Werk von Lichtenstein geradezu die Vollendung sein müsste.

Vier Wochen vierzehn Stunden am Tag malen

Doch bis er mit seinen Plänen und einem Modell im Koffer nach New York fliegen konnte, hatte er zunächst intensive Überzeugungsarbeit bei den zuständigen Dienststellen zu leisten, damit die übliche Zwei-Prozent-Summe für Kunst am Bau nicht nach dem Gießkannenprinzip auf die heimische Kunstszene verteilt werden würde. Schließlich reiste Gutschow mit der Zusage ab, Lichtenstein 100.000 Mark bieten zu können, verknüpft mit der Hoffnung, dafür ein Werk für zwei Wände zu bekommen. Der amerikanische Künstler, in jenen Jahren auf der Höhe seines Ruhms, zeigte sich spontan begeistert von der Aufgabe und meinte, er wolle kein Stückwerk, sondern ganze Arbeit leisten. Hieß: Er kündigte für die gebotene Summe Gemälde für alle vier Wände an.

Im Herbst 1970 war der Entwurf schließlich fertig, und Lichtenstein schickte seine Assistentin Carlene Meeker mit einer Reihe von Diapositiven nach Düsseldorf - nun begann die eigentliche Arbeit. Diese Dias wurden an die mit einem Spezialputz und weißer Farbe beschichteten Wände projiziert, die Konturen exakt nachgezogen und die Farbfelder mit Rot, Gelb und Blau ausgefüllt. Zum Schluss brachte Carlene Meeker mit einer Schablone die für Lichtenstein so typischen Rasterpunkte auf. "Für die Assistentin und ihre zwei Helfer war das harte Arbeit", schrieb "Die Zeit" kurz darauf in einer Reportage, "durch manche nicht vorhersehbare Panne kam man vier Wochen lang auf einen 14-Stunden-Tag."

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass jedes der vier Gemälde für sich steht. Erst bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass Lichtenstein sein Werk aus dicken Pinselstrichen aus einem Guss, als ein über alle vier Wände verlaufenes Ganzes konzipiert hat - Kunst am laufenden Meter.

Da überkreuzen sich ein roter und ein gelber überdimensionaler Pinselstrich auf einer Wand auf einem blauen Punktraster und springen auf die nächste Wand über. Dort signalisiert ein riesiger gelber Farbspritzer, dass etwas Neues beginnt. Und so setzen sich verschlungene Schwünge und Kleckse fort. "Angelehnt ist dieses Werk an die Comics jener Jahre", erläutert Andrea von Hülsen-Esch, von denen Lichtenstein seit Mitte der 1960er Jahre inspiriert wurde. "Und die zur Initialzündung für seine Brushstrokes wurden", für die Malerei mit dem großen Gestus. Gleichzeitig erinnern, so die Expertin, die riesigen Farbkleckse an das Action-Painting von Jackson Pollock. Ihr Fazit: "Wir haben hier zweifellos ein Highlight der Avantgarde-Kunst."

Restauration war eine Mammutaufgabe

In allen Publikationen ist davon die Rede, dass dieses Werk genau 48 Meter misst, aber das stimmt nicht. Die beiden Männer, die am Dienstagnachmittag gerade noch mal Details des Wandgemäldes begutachteten, wissen es besser: Die Restauratoren Thomas Brüning und Michael Schubert aus Ratingen, die soeben mit ihrem Team das monumentale Werk über drei Monate gereinigt und aufgefrischt haben, nutzten die Gelegenheit, um nachzumessen: "Es sind genau 51,14 Meter."

Für sie bedeutete der Auftrag eine Mammutaufgabe und nur schwer zu kalkulierende Kosten. "Wir haben schon oft im öffentlichen Raum restauriert, aber noch nie ein so großes Werk." Beide Experten bescheinigen dem Künstler, vor 47 Jahren hochwertige Acrylfarben verwendet zu haben. "Trotzdem hat sich in dieser langen Zeit auf der Oberfläche Schmutz angesammelt", so Thomas Brüning. Außerdem berichteten ältere Uni-Mitarbeiter von "den tollsten Partys", die früher in diesem weitläufigen Foyer gefeiert wurden. Und damals hätten bei Festen schließlich alle geraucht - Gift für die Kunst.

Also haben die Restauratoren in verschiedenen Arbeitsschritten die Oberfläche gereinigt, "zunächst trocken mit Latexschwämmen, um Staub und losen Schmutz zu entfernen", so Michael Schubert. Dann folgte die Feuchtreinigung ebenfalls mit Schwämmen und - ganz behutsam - mit dem Einsatz von Seife. Doch je kleinteiliger die Gemälde sind, desto kleinteiliger wurde auch das Arbeitsgerät: "Bei den Rasterpunkten haben wir mit Wattestäbchen gearbeitet." Und bei den roten und gelben Flächen durften sie nicht allzu stark reiben, "sonst hätte sich die Farbe aufgelöst". Drei Monate war das Team beschäftigt, knapp 100.000 Euro hat die Restaurierung dieses "Solitärs im Gesamtwerk von Lichtenstein" gekostet, so Michael Schubert. Rund die Hälfte hat der Verein der Freunde und Förderer der Uni zu ihrem 50. Geburtstag geschenkt, die andere Hälfte spendierte die Ilselore-Luckow-Stiftung.

Nun zeigen die Farben wieder ihre intensive Leuchtkraft, auch der weiße Untergrund ist wieder makellos. Und die Restauratoren hoffen, dass das auch so bleibt.

"Aber es gab auch vorher, von ein paar kleinen Kritzeleien abgesehen, keine wirklichen Schmierereien." Brüning glaubt, dass dafür die "rundum positive Wirkung" des Werks verantwortlich ist. Nur hier und da habe es ein bisschen Abrieb der Farbe gegeben, weil einige Bänke direkt davor standen, und so mancher Studentenrücken der Kunst zu nahe kam. Das wird in Zukunft nicht mehr passieren: Die Bänke sind an andere Orte des Foyers gerückt worden, außerdem sorgen Bänder wie in Museen für respektvollen Abstand.

1970 setzte Roy Lichtenstein seine übergroße Unterschrift unter das Werk

Als damals im Oktober 1970 das Werk vollendet war, reiste Roy Lichtenstein mit seiner Frau Dorothy nach Düsseldorf, um zu sehen, wie sein Entwurf den kühlen Beton-Bau mit seinen interessanten Blickwinkeln und dem unterschiedlichen Lichteinfall illuminierte. Schließlich setzte er den Schlusspunkt unter die Arbeit: eine übergroße Signatur unweit des Eingangs.

Wäre er noch ein bisschen länger am Rhein geblieben, hätte er eine weitere Gelegenheit nutzen können, seine eigene Kunst zu sehen. Werner Schmalenbach, legendärer Direktor der Kunstsammlung, präsentierte Anfang Dezember sein jüngstes Sammlungsstück: das "Big Painting Nr. 6" von Lichtenstein, das soeben aus Amerika eingetroffen war und das Schmalenbach für 75.000 Dollar ersteigert hatte. Damit hatte er eine Summe investiert, die bisher noch nie für das Werk eines lebenden Künstlers gezahlt worden war. Damals galt seine Entscheidung als großes Risiko. Heute wissen wir: Es war gut angelegtes Geld.

Festakt Die Restaurierung des Wandgemäldes (Gebäude 22.01) feiert die Uni am Montag. Erwartet wird auch NRW-Kultusministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen.

(RP)
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