Prozess vor dem Oberlandesgericht Ein IS-Rückkehrer will auspacken

Düsseldorf · Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ist der Prozess gegen Anil O. gestartet. Der 23 Jahre alte Deutschtürke gilt den Behörden als wichtiger Kronzeuge. Er ist bereit, umfassend gegen die höchsten deutschen Islamisten auszusagen.

 Das mutmaßliche IS-Mitglied Anil O. soll den Behörden die Strukturen der Terrormiliz in Deutschland offenlegen.

Das mutmaßliche IS-Mitglied Anil O. soll den Behörden die Strukturen der Terrormiliz in Deutschland offenlegen.

Foto: dpa, fg sab

Aus der Ferne sieht dieser Mann aus wie der Schlagersänger Mickie Krause. Er trägt Perücke: schulterlanges Haar, Strähnen in dunkel- und hellblond. Seine Augen versteckt er hinter einer schwarzen Kastenbrille, seine Unsicherheit verbirgt sich hinter einer leisen Stimme. Er hat sich schick gemacht für diesen Tag und seinen Körper in Anzug und Krawatte gehüllt. Dieser Mann aber ist kein Schlagersänger; Anil O. ist angeklagt wegen Mitgliedschaft bei der Terrororganisation Islamischer Staat (IS).

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf hat am Montag das Verfahren gegen ihn eröffnet. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor. Anil O. wollte dem IS als Mediziner beim Aufbau des Kalifats helfen. Vier Verhandlungstage sind angesetzt — wenig für diese Materie.

Anil O. will als Kronzeuge gegen deutsche Islamisten aussagen

Denn Anil O. will auspacken. Er ist vom IS geflohen und 2016 in Deutschland verhaftet worden. Der 23 Jahre alte gebürtige Gelsenkirchener mit deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit ist bereit, vor dem OLG die Strukturen des IS in Deutschland offenzulegen. Durch seine Bereitschaft, umfassend gegen die Islamistenszene auszusagen, ist er für den IS zu einer Gefahr und für die deutschen Sicherheitsbehörden zum wichtigsten Kronzeugen gegen islamistischen Terror avanciert.

Anil O. macht Abitur, Durchschnitt 1,0, heiratet mit 18 seine Jugendliebe und beginnt ein Medizinstudium. Doch im Juni 2014, da ist Anil O. 20, beginnt er, sich für die islamistisch-extremistische Ideologie zu interessieren. Über Bekannte erhält er Kontakt zu den wichtigsten Drahtziehern des IS in Deutschland, die ihn schließlich Mitte 2015 über Griechenland und die Türkei nach Syrien schleusen.

Mit dem 2013 geborenen Sohn und seiner Frau lebt Anil O. zunächst in Raqqa, der Hauptstadt des IS. Er soll sich an das Leben im Kalifat gewöhnen, bevor er als Mediziner in gehobener Stellung arbeiten soll. Doch das Leben in Raqqa scheint Anil O. zu verschrecken.

Er versucht zu fliehen und landet im Gefängnis des IS. Erst im Januar 2016 gelingt der jungen Familie der verbotene Weg zurück in die Türkei. Am 23. September 2016 landet Anil O. am Flughafen Düsseldorf — und wird verhaftet.

Das Strafverfahren gegen den Deutschtürken ist jedoch aus Behördensicht eher eine Nebensache. Anil O. sagte dem Vorsitzenden Richter Frank Schreiber am Montag, dass sämtliche Punkte der Anklage "im Wesentlichen" zutreffend seien.

Doch die Bundesanwaltschaft erhofft sich, von seinen Aussagen Licht in die dunklen Strukturen des IS bringen zu können. So haben die Vernehmungen O.s bereits zu drei Verhaftungen geführt, die Bundesjustizminister Heiko Maas als "wichtigen Schlag gegen die islamistische Szene" bezeichnete.

Am 8. November 2016 hat die Bundesanwaltschaft Hassan C., Boban S. und Abdulaziz Abdullah A. festgenommen. Letzter gilt als Abu Walaa als Nummer Eins des IS in Deutschland. Die drei Männer sollen in Duisburg, Dortmund und Hildesheim wichtige Stationen eingerichtet haben, um junge Männer, vor allem arabische Asylbewerber, in das Hoheitsgebiet des IS zu verbringen oder zu Anschlägen zu motivieren.

Hassan C. soll in seinem Duisburger Reisebüros Jugendliche auf den IS eingeschworen, Boban S. in Dortmund eine radikale Koranschule betrieben und Abu Walaa in einer Hildesheimer Moschee den direkten Kontakt zum IS hergestellt haben. Auch der Berliner Attentäter Anis Amri soll diese Stationen absolviert haben.

Das Verfahren gegen Anil O. wird am 15. Mai fortgesetzt.

(her)
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