Geisels als Wollersheims in Kritik Pro und Contra: Was ist im Karneval erlaubt?

Düsseldorf · Über keine ihrer Verkleidungen wurde so kontrovers diskutiert wie über die zur WDR-Fernsehsitzung am vergangenen Freitag: Oberbürgermeister Thomas Geisel ging als Düsseldorfer Rotlichtgröße Bert Wollersheim, seine Gattin als offenherzige Sophia. Ein Pro und Contra.

Karneval 2016: Impressionen von der TV-Sitzung in Düsseldorf
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Karneval 2016: Impressionen von der TV-Sitzung in Düsseldorf

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Henryk M. Broder, streitbarer, zu bösen Polemiken neigender Publizist und Kolumnist, hat bei der Verleihung der Josef-Neuberger-Medaille in der Synagoge im vergangenen Jahr mehr Mut zu Satire und Grenzüberschreitung eingefordert. Das sei notwendig "in diesem Land, das an seiner politischen Korrektheit zu ersticken droht". Recht hat der Mann. Ist es tatsächlich ein "No Go", sich im rheinischen Karneval als Zuhälter und als Partnerin desselben zu verkleiden? Ist es ein noch böserer Fauxpas, dies als Oberbürgermeister in einer TV-Sitzung zu tun?

Ja, es wäre einer, sogar ein fulminanter, wenn, ja wenn, Thomas Geisel tatsächlich mit seiner Kostümierung "ein verabscheuungswürdiges, grausiges und trauriges Geschäft" bewerben würde (so seine Gleichstellungsbeauftragte Elisabeth Wilfart) oder tatsächlich das Bild transportieren würde, Frauen seien käufliche Ware (so Wilfarts Kölner Kollegin Christine Kronenberg). Das ernsthaft zu vermuten, ist aber in sich schon wieder eine Groteske. Nein, Karneval ist von Natur aus schräg, ist gelebte Satire, darf (bis zu einem gewissen Punkt) Tabubruch sein.

Macht es wirklich Sinn, die Maßstäbe im politischen Korrektheitswahn des 21. Jahrhunderts hier immer weiter zu verschärfen? Eine Pappmaché-Kanzlerin mit tief ausgeschnittenem Dekolleté: Ist nicht auch das am Ende schon sexistisch? Und was ist mit einer Merkel, die aus dem nackten Hinterteil von "Uncle Sam" hervorlugt? Beides waren Mottowagen aus dem Karneval. Und was ist mit den vier Wagen, mit denen Jacques Tilly 2015 den islamistischen Terror geißelte? Nur zur Erinnerung: Die Kölner zogen ihren Wagen zu diesem Thema zurück und wurden dafür prompt kritisiert - auch und gerade vom Zentralrat der Muslime. Ist doch nicht vergleichbar, werden jetzt die Geisel-Kritiker rufen. Mag sein. Trotzdem muss man fragen: Wer definiert von jetzt an die rote Linie im Karneval? Wer bestimmt, was gerade noch geht und was nicht? Die Preußen haben das im 19. Jahrhundert versucht. Ihnen war die ganze rheinische Lockerheit zuwider. Sie wollten es lieber korrekt, geradeaus, ohne allzu viel Humor, preußisch eben, verboten sogar jecke Umzüge. Den Spaß am Mummenschanz, am Despektierlichen, am auch mal geschmacklos sein dürfen, haben sie den Rheinländern aber nicht austreiben können. Politische Korrektheit als das Preußentum des 21. Jahrhunderts? Thomas Geisel muss sich dem nicht beugen. Mit der Kritik, ob es ausgerechnet ein Zuhälter sein musste, wird er leben müssen. Aber frauenfeindlich ist er deshalb nicht. Er persifliert nur eine stadtbekannte Rotlicht-Größe mitsamt Begleitung, zwei Lieblinge des Boulevards. Im Karneval darf er das. Auch als Oberbürgermeister.

Joerg.Janssen @rheinische-post.de

Es gibt viele Gründe, warum man zum Karneval in anderer Leute Berufsbekleidung schlüpft, und weder beim Bäcker noch beim Cowboy wird dann über Weltanschauung diskutiert. Wahrscheinlich würde nicht einmal die streitbare Veganer-Fraktion sich über eine kunstblutbefleckte Metzgerschürze echauffieren. Warum also über einen pensionierten Pensionsbetrieb-Betreiber und eine nach eigenen Angaben ehemalige Immobilienmaklerin? Noch dazu eine, die ab heute Abend zumindest so lange als "Star" gelten darf, bis sie aus dem RTL-Dschungel wieder auszieht?

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Foto: Röhrig

Weil die Wollersheims eben bei aller Omnipräsenz im Privatfernsehen keine Stars sind, sondern allenfalls ein boulevard-bekanntes Rotlicht-Pärchen. Und weil es schon ein bisschen komisch aussieht, wenn die Stadt einerseits Betriebe schließen lässt, als deren Chef dann der Oberbürgermeister in der Fernsehsitzung auftaucht. Dem bundesweiten Publikum wird das nicht sonderlich negativ auffallen, die meisten werden sich vermutlich fragen, warum Thomas Geisel sich als Rod Stewart so eine hässliche Brille aufgesetzt hat. Und als welche von Rods Ehefrauen wohl Düsseldorfs First Lady geht.

Und genau da hört bei mir die Toleranz auf. Vera Geisel ist eben nicht als Rachel Hunter aufgebrezelt, sondern als ein silikoniertes Erotik-Model, zu dessen Großtaten gehört, den alternden Bordellbetreiber an ihrer Seite als "Puff-Daddy" zu vermarkten. Nichts gegen sexy Kostümierungen. Aber welche Frau will sich denn unbedingt als Puff-Mutti präsentieren?

Das Geschäft mit der käuflichen Liebe mag das älteste Gewerbe der Welt sein. Es ist aber auch eins, dass heutzutage vom Organisierten Verbrechen beherrscht wird. In dem die Ausbeutung von Frauen noch als geringes Übel gilt, angesichts von Zwangsprostitution und minderjährigen Sexsklavinnen. Das ist widerlich, und das ist auch im Karneval nichts zum Lachen. Es ist keine Branche, mit der man sich gemein macht. Nicht mal zum Spaß. Es geht nicht darum, ob Geisels im Wollersheim-Outfit Karneval feiern, sondern darum, dass sie damit auch deren Halbwelt ein Stück weit aus der Tabuzone holen, in der sie eigentlich gut aufgehoben ist. Die Welt war nicht schlechter, als die Wollersheims ihr Leben noch nicht vom Fernsehen filmen ließen. Und sie ist nicht besser, seit Pornografie und Rotlicht zum Nachmittagsprogramm gehören.

Liebe Geisels, mal ganz abgesehen davon, dass Bert Wollersheim von so vielen Haaren schon lange nur noch träumt - als Stewart und Hunter hätte ich Sie beide Klasse gefunden.

Stefani.Geilhausen @rheinische-post.de

(RP)
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