Kolumne Heimatreport Neben dem Gleis

Düsseldorf · Unser Autor sucht in Hellerhof nach Modelleisenbahnen und findet dabei eine Idee für ein TV-Format.

 Auf der Suche für die Lösung eines Rätsels besucht unser Autor die Hellerhof-Passage. Hinweise findet er dort nicht wirklich, dafür entdeckte er aber polnische Spezialitäten

Auf der Suche für die Lösung eines Rätsels besucht unser Autor die Hellerhof-Passage. Hinweise findet er dort nicht wirklich, dafür entdeckte er aber polnische Spezialitäten

Foto: Anne Orthen

Und alles nur wegen Google Maps! Ohne den genialen Kartendienst des US-Konzerns wäre ich nie im Leben auf die Idee gekommen, mich für Modelleisenbahnen zu interessieren. Bitte nicht missverstehen, ich respektiere jedes Hobby. Aber in meinem speziellen Fall war es bislang so, dass es wenig gab, was mich weniger interessierte als Modelleisenbahnen. Bis zu dem Moment, als ich mir auf Google Maps den Stadtteil Hellerhof anschaute. Der südlichste Stadtteil Düsseldorfs, gleich neben Monheim. Das Tolle an Google Maps ist ja unter anderem, dass auf den Karten alle möglichen Läden und Unternehmen markiert sind. So entdeckte ich, in der Philipp-Scheidemannstraße 7 in Hellerhof, eine Firma namens Schlesienmodelle.

Schlesienmodelle. Was konnte das sein? Modelle von der Region, die größtenteils in Polen liegt? Sicher nicht. Die Firma hat eine Website, der ich entnahm, dass es um Modelleisenbahnen ging. Aktuell ist auf der Seite die "Polnische Einheitslok-Ellok EU07 Baureihe 303E" groß beworben. Nicht, dass mich die Einheitslok sofort fasziniert hätte. Aber es juckte mich, die Firma kennenzulernen, die dem Anschein nach mitten in einem Wohngebiet lag und von der ich dachte, sie könnte ein Hot Spot für Freaks sein. Solche Orte ziehen mich seit jeher an. Dass ich mit meiner Recherche für viel Verwirrung sorgen würde, konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht ahnen. Ebenso wenig, dass der einzige Freak, dem es die Schlesienmodelle angetan hatten, offenbar ich selbst war.

Das Wohnviertel in Hellerhof, wo die Firma laut Google ihren Sitz hatte - weitgehend baugleiche Ein- und Zweifamilienhäuser -, war wie ausgestorben. Am helllichten Tag konnte ich mitten auf der Straße laufen. Es war, als hätte jemand dem Viertel ein Schild "Bitte nicht stören" umgehängt. Ich klingelte an der Adresse, wo die Schlesienmodelle GmbH ansässig sein musste - ein ganz normales Wohnhaus -, und erfuhr von einer Frau, dass die Firma vor einem Jahr weggezogen sei. Wohin, wusste sie nicht. Aus dem Haus auf der anderen Straßenseite trat ein älteres Ehepaar. Ich fragte sie nach den Schlesienmodellen. Sie sagten, sie wohnten schon seit einer Ewigkeit in Hellerhof, aber davon hätten sie noch nie gehört. Ich, lächelnd: "Haben Sie es denn noch nie auf die andere Straßenseite geschafft?" Der Mann: "Doch, schon." Die Frau: "Sind Sie aus Schlesien?" Ich: "Nein, Köln." Der Mann, lächelnd: "Viel Glück!"

Das Internet ist eine tolle Erfindung. Aber ich bekam meine Zweifel, ob das alles immer so stimmt, was da steht. Ob man die Fakten nicht alle mal checken müsste. Das wäre zwar eine Heidenarbeit. Aber vielleicht auch eine Geschäftsidee. Der Google-Checker. Einmal die Woche live auf RTL. Vielleicht auch einmal täglich, denn es wäre verdammt viel zu checken. Im Internet las ich zum Beispiel, dass Hellerhof die jüngste Bevölkerung von Düsseldorf habe. Ich dachte, eine Art Jungbrunnen zu besichtigen, zumal im benachbarten Monheim im Jahre 2009 Daniel Zimmermann im Alter von gerade einmal 27 Jahren Bürgermeister geworden war - der damals jüngste Bürgermeister von NRW. Ebenfalls laut Internet war das weitläufige Wohnviertel, durch das ich spazierte, vor 40 Jahren quasi aus dem Boden gestampft worden. Das zumindest schien richtig zu sein. "Vor 40 Jahren war hier nichts, nur Wiesen und Äcker", sagte mir ein Mann so um die siebzig. Aber eine junge Bevölkerung? "Hier gibt's nur alte Leute", sagte er lachend. Und die Schlesienmodelle? "Ich wohne seit 40 Jahren hier, davon höre ich zum ersten Mal."

Mir ging es schon lange nicht mehr um Modelleisenbahnen. Vielleicht ging es sowieso nie darum. Ein Rätsel hatte sich aufgetan, ein großes Nachbarschaftsrätsel, und ich musste es lösen. Stell dir vor, in deiner Nachbarschaft ist eine Firma, die von heute auf morgen verschwindet, so mir nichts, dir nichts. Da muss man doch etwas tun. Haben denn alle weggeguckt? Das geht doch nicht, dass eine GmbH einfach so verschollen gehen kann. Ich bin selbst Geschäftsführer einer GmbH. Ich habe Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass ich mit meinem Laden über die Wupper gehen kann, und keiner merkt's.

Ich lief ins Einkaufszentrum, wo es einen Laden für schlesische Spezialitäten gibt. Es roch köstlich nach Krakauern, und die verschiedenen Sorten Wodka sahen verlockend aus. Leider konnte die nette Verkäuferin mit polnischen Einheitslokomotiven nichts anfangen. Auf meine Frage nach der irgendwie abhanden gekommenen Firma zuckte sie nur mit den Achseln. Ich stand unverändert neben dem Gleis, kam nicht auf Kurs, wollte den Zug aber unbedingt ins Rollen bringen und steuerte erneut die Wohnsiedlung an, wo ich meinte, den Flügelschlag des Bussards 200 Meter über mir zu hören. Nach einer Weile, in der nichts geschah, sah ich auf der Straße eine Frau. Volltreffer. Die Frau verriet mir, dass die Schlesienmodelle früher ihre Nachbarn gewesen und nur ein paar Meter weiter gezogen seien. "Da vorne hin", sagte sie, mit dem Arm in eine Richtung wedelnd, sie nannte auch eine Straße. Ich nenne sie hier nicht, weil ich inzwischen skeptisch bin, ob die Firma in der Öffentlichkeit stehen möchte.

Wollen Sie wissen, was es mit den Schlesienmodellen auf sich hat? Es gibt sie noch. Ein Mann, den ich in besagter Straße ansprach, sagte mir, das seien seine neuen Nachbarn. Er zeigte mir das Haus. Er sagte, von den Modelleisenbahnen habe er gehört, das stimme. Ich war am Ziel. Ich klingelte. Rätsel gelöst. Alles ist gut. Nur dass niemand aufmachte. Aber das war nicht schlimm. Denn eigentlich interessiere ich mich nicht für Modelleisenbahnen.

(RP)
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