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Projekt der Uni Düsseldorf Mit einem Flüchtling zum Arzt

Sprachbarrieren und unterschiedliche Therapievorstellungen erschweren oft die medizinische Behandlung von Menschen aus dem Ausland. An der Uni Düsseldorf werden angehende Mediziner darauf vorbereitet. Wir waren bei einem solchen Arzttermin dabei.

 Alina Kypke (23) ist Medizinstudentin an der Universität Düsseldorf. Im Rahmen des Wahlfachs "Flüchtlingsmedizin" begleitet sie Amina Deeb (34) regelmäßig zu Arztterminen.

Alina Kypke (23) ist Medizinstudentin an der Universität Düsseldorf. Im Rahmen des Wahlfachs "Flüchtlingsmedizin" begleitet sie Amina Deeb (34) regelmäßig zu Arztterminen.

Foto: Susanne Hamann

Amina Deeb ist es unangenehm, was hier mit ihr passiert. Die 34-Jährige sitzt zusammengekauert auf einem Stuhl in der Onkologie der Uniklinik Düsseldorf, während ihre Ärztin die medizinische Situation erklärt. Der Brustkrebs ist nicht kleiner geworden. Die Therapien schlagen nicht so gut an wie gewünscht. Die Ärztin redet schnell und klar — allerdings nicht mit der Patientin direkt. Frau Deeb spricht kein Deutsch und kein Englisch. Wäre heute nicht die 23-jährige Alaa Abuhamam als frewillige Übersetzerin anwesend, Frau Deeb hätte den für sie lebenswichtigen Termin nicht einhalten können.

Amina Deeb ist eine von über 100 Patienten, denen Medizinstudenten der Universität Düsseldorf gemeinsam mit freiwilligen Übersetzern bei Arztterminen helfen. Ursprünglich als freiwillige Initiative von Studenten gestartet, hat sich das Projekt so bewährt, dass es inzwischen in das Wahlfach "Flüchtlingsmedizin" umgewandelt wurde. Medizinstudenten lernen dabei die Abläufe einer interkultuellen Praxis und begleiten Flüchtlinge mindestens fünf Mal zum Arzt. Bei rund 7000 Flüchtlingen allein in Düsseldorf sind die Termine begehrt.

Seit einem Jahr begleiten Abuhamam und die Medizinstudentin Alina Kypke Frau Deeb zum Arzt. Trotzdem sind die Termine immer noch eine Herausforderung. "Ich muss mich auch um Dinge wie Überweisungen und Gespräche mit der Krankenkasse kümmern, das kann Frau Deeb nicht", sagt Kypke. "Und bei den Terminen braucht man vor allem Geduld."

Was sie damit meint, wird schnell deutlich: Wenn Abuhamam, die selbst aus Palästina kommt, ins Arabische übersetzt, braucht sie für die gleiche Aussage doppelt so lang wie die Ärztin. Manchmal entsteht zwischen ihr und Deeb auch ein kurzes Gespräch. Worum es dabei geht, ist unklar. Wenn die Ärztin etwas fragt, antwortet Deeb oft in langen Sätzen, die Abuhamam am Ende nur mit einem kurzen "Ja" oder "Nein" übersetzt. Das braucht Zeit und manchmal auch Nerven. "Arabisch funktioniert völlig anders als Deutsch", sagt Abuhamam. "Man schmückt die Sätze stark aus, während man im Deutschen sofort auf den Punkt kommt. Das war für mich anfangs auch sehr schwer zu lernen."

Dann soll Frau Deeb eine Spritze in den Oberkörper bekommen. Sich freizumachen, ist ihr offensichtlich unangehm. Aber sie überwindet sich. "Wir hatten zurerst einen männlichen Arzt", sagt Kypke. "Das war ein deutlich größeres Problem. Weil ihre Situation so kritisch war, hat Frau Deeb das mitgemacht. Aber seit wir eine Onkologin haben, geht alles viel besser."

Ohne Erkläungen kein Vertrauen

Es ist nicht die einzige Schwierigkeit, die Kypke bei Arztterminen schon erlebt oder in ihrem Kurs gehört hat. "Es kommt schon vor, dass die Patienten glauben, sie bräuchten eine ganz andere Behandlung, als der Arzt ihnen verschreibt." Besonders verwirrend ist die Situation dann, wenn sie erst beim Hausarzt waren, der aber eine ganz andere Diagnose oder Therapie vorschlägt als anschließend der Spezialist. "Dann ist es besonders wichtig, dass wir als Medizinstudenten dabei sind und mit unserem Fachwissen erklären können, woher die Unterschiede kommen und warum diese Behandlung sinnvoll ist", sagt Kypke. Ein Kommilitone hat sich nach einem Arzttermin, in dem der Patient die Behandlung für seine Krebstherapie abgelehnt hat, sogar extra Zeit genommen, um ihm bei einer Tasse Kaffee alles in Ruhe zu erklären. "Er spricht selbst Arabisch und hat ihm in dieser Zeit gesagt, dass er den Arzt gut kennt und man ihm vertrauen kann", sagt die 23-Jährige. Nur deshalb war es anschließend möglich, die Behandlung überhaupt umzusetzen.

Um die Sprachbarriere möglichst gut zu umgehen, haben die Medizinstudenten des Wahlfachs "Flüchtlingsmedizin" immer einen speziellen Fragebogen dabei. Er fragt auf Deutsch, Englisch und Arabisch die wichtigsten Punkte der Krankheitsgeschichte ab. Weil der Bogen als Multiple-Choice aufgebaut ist, können deutsche Muttersprachler anhand der angekreuzten Kästchen die Antworten auswerten auch, wenn nur der arabische Teil ausgefüllt wurde. "Das hilft schon sehr, die Flüchtlinge zu verstehen, gerade, wenn es darum geht, Schmerzen zu beschreiben", sagt Kypke.

Schlechte Erfahrungen plus Sprachbarriere ergeben eine schwierige Mischung

Warum es so vielen Flüchtlingen trotz dieser Maßnahmen schwerfällt, westlichen Medizinern zu vertrauen, ist auch für die Medizinstudentin nicht leicht zu erklären. Die Sprachbarriere sei sicherlich ein wichtiger Grund. Und auch die komplexe Bürokratie, die in Deutschland mit jedem Arztbesuch verbunden ist, und die die meisten Patienten nicht verstehen.

Hinzu kommen oftmals schlechte Erfahrungen im Heimatland und auf der Flucht. Auch Frau Deeb kann sich an solche schlimmen Zeiten erinnern. Im Libanon aufgewachsen, wird ihr mit 20 Jahren und als Mutter von vier Kindern aggressiver Brustkrebs diagnostiziert. Die Familie kann sich die teuren Behandlungen nicht leisten, und die Ärzte halten ihre Situation für aussichtslos. Freunde empfehlen ihr, wegen der guten medizinschen Versorgung nach Deutschland zu gehen.

Was dann passiert, kann Frau Deeb kaum erzählen, ohne zu weinen. In einem Boot, klein wie eine Nusschale, werden sie, ihr Mann und die vier Kinder über das Mittelmeeer geschleust. Mehfach droht das Schiff zu sinken. Immer wieder springen die Männer ins Wasser, um Frauen und Kinder vor dem Kentern zu bewahren. Mehrere Erwachsene und auch zwei Kinder sterben auf der Reise. Familie Deeb kommt nur knapp mit dem Leben davon. Mit Bussen werden sie dann von der Türkei über die Balkanroute bis nach Deutschland transportiert und in Düsseldorf in eine Flüchtlingsunterkunft gebracht. Das ist ein Jahr her. Inzwischen lebt Familie Deeb in einer eigenen kleinen Wohnung, die Kinder gehen in den Kindergarten und in die Schule. Frau Deeb ist endlich richtig in Behandlung.

Der Plan scheint aufzugehen. Doch dann wendet sich Deeb plötzlich mit einer Bitte an die Ärztin: "Können Sie bescheinigen, dass ich zu krank bin, um die Rückreise in den Libanon anzutreten?", übersetzt Abuhamam. Die Ausländerbehörde will Deeb ausweisen, weil ihre Familie nicht aus einem der Risikoländern kommt. Die Ärztin stimmt zwar zu, ob es etwas bringen wird, ist jedoch unklar.

Klappt es nicht, muss Deeb wieder von vorne anfangen. Gesundheitlich und in Sachen Lebensplanung.

Wer sich in der medizinischen Flüchtlingshilfe als Übersetzer einsetzen oder das Wahlfach im Sommersemester belegen will, findet hier alle wichtigen Informationen und Ansprechpartner.

(ham)
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