Serie Düsseldorfer Geschichten Mit dem Doppeldecker nach Kapstadt

Düsseldorf · Für Ingo Presser bedeutet Fliegen alles. 1980 kaufte er sich eine zerlegte Bücker Jungmann und baute sie in langer Arbeit zusammen.

 Ingo Presser will mit seinem Doppeldecker bis nach Afrika fliegen. Der Pilot nimmt an einer Oldtimer-Flugzeug-Rally teil.

Ingo Presser will mit seinem Doppeldecker bis nach Afrika fliegen. Der Pilot nimmt an einer Oldtimer-Flugzeug-Rally teil.

Foto: petra presser

Schade, dass wir diesen Mann nicht früher kennengelernt haben. Damals, in den 1980er und 1990er Jahren, als wir mit LTU nach Athen und auf die Malediven, nach Sri Lanka, Florida und Mombasa geflogen sind. Zu der Zeit arbeitete er nämlich als Pilot für Deutschlands legendären Ferienflieger. Und es wäre ein gutes Gefühl gewesen, ihn vorne am Steuer des TriStar sitzen zu wissen, mit dem wir oft unterwegs waren. Der Mann heißt Ingo Presser, ist heute 72, und fit wie ein Turnschuh. Das dichte Haar ist zwar ergraut, Gewichtsprobleme hat er offensichtlich aber keine, und in seinen Augen blitzt die Abenteuerlust.

 Ingo Presser war schon als Kind verrückt nach Flugzeugen. Bevor er Pilot wurde, machte er eine Ausbildung zum Flugzeugmechaniker.

Ingo Presser war schon als Kind verrückt nach Flugzeugen. Bevor er Pilot wurde, machte er eine Ausbildung zum Flugzeugmechaniker.

Foto: andreas endermann

Die hat ihn wohl auch dazu gebracht, einen Trip der ganz ungewöhnlichen Art zu machen. Denn er ist zur Zeit auf dem Weg nach Kapstadt. Das ist für die normalen deutschen Reiseweltmeister nichts Besonderes, per Jet dauert das rund 12 Stunden. Aber Presser fliegt nicht, wie früher, mit einem TriStar oder einem Airbus 330, sondern mit einem deutschen Doppeldecker, der - ähnlich wie er selbst - heute zu den unverwüstlichen Oldtimern zählt. Es ist eine Bücker Jungmann, unter Piloten ein legendäres Flugzeug, ab 1934 in Deutschland gebaut und vor allem beliebt als Ausbildungsflugzeug bei verschiedenen Luftwaffen.

Die Route nach Kapstadt geht ab Athen über Kreta nach Ägypten, Abu Simbel, den Sudan, Äthiopien, Kenia, Tansania, Sambia, Simbabwe, Botswana, wenn das Wetter es zulässt, werden der Kilimandscharo, die Insel Sansibar vor der südafrikanischen Küste und die Victoria Falls überflogen. Am 16. Dezember will man ankommen.

Das ist eine lange Zeit für einen solchen Flug, aber kein Wunder angesichts der Flugzeuge, die mitmachen. Es sind nämlich alles betagte Maschinen, eine Oldtimer-Rallye der Lüfte, sozusagen - und als Vintage-Rally wird sie auch von einem Reiseveranstalter ("Prepare2Go") vermarktet. Wer teilnehmen will, braucht ein fliegendes Gerät, die erforderliche Lizenz und einiges an Geld, denn die Organisation der Reise ist aufwändig und daher teuer.

Zehn Doppeldecker, zwei Hubschrauber, eine zehnsitzige Cessna nehmen teil, fürs Gepäck ein uralter russischer Doppeldecker, die Antonov II, und acht weitere Flugzeuge. Man fliegt in Tagesetappen und - aus Sicherheitsgründen - immer zwei Maschinen beieinander auf Sichtweite. Jede halbe Stunde sind die Piloten verpflichtet, sich über Funk ihren aktuellen Standort durchzugeben, um im Notfall schnell Hilfe heranholen zu können.

Dass das Ganze eher gemächlich abläuft, zeigen die technischen Daten der Bücker Jungmann, mit der Presser abhebt: Sie hat einen Vier-Zylinder-Motor mit sechs Liter Hubraum (also jeder Zylinder im Format eines Suppentopfs), leistet 150 PS bei 2300 Umdrehungen, schafft maximal 170 Kilometer pro Stunde, verbraucht dabei 30 Liter und hat einen 90-Liter-Tank - was bedeutet, dass sie also relativ oft runter muss. Damit sich das ein bisschen ausdehnen lässt, hat Presser einen Zusatztank eingebaut. Benutzt wird spezielles Flugbenzin mit 100 Oktan: bleifrei - nein Danke, das mag die Bücker gar nicht. Mit seinem Freund und Co-Piloten, dem Australier Bob Campbell, bildet er das Team Amur Falcon. Bob ist Arzt und wirkt cool wie die Nase eines Hundes - was den Teilnehmern des Trips sicher ein ruhiges Gefühl gibt.

Dass derlei technische Finessen wie das Einbauen eines Zusatztanks für ihn kein Problem sind, hat mit Pressers Werdegang zu tun. Er verbrachte einen großen Teil seiner Kindheit in Bahrain, wo sein Vater arbeitete. Dort bekam er Kontakt zum örtlichen Flughafen, der damals allerdings noch sehr rustikal war. Der junge Ingo entdeckte seine Leidenschaft für alles, was fliegt - und machte eine Lehre als Flugzeugmechaniker. Wenn er davon erzählt, wird eines klar: Er lernte die Technik der damaligen Flugzeuge von der Pike auf, kannte früh von Motor und Fahrwerk jede Schraube. Logisch, irgendwann selbst zu fliegen. Seine Ausbildung machte er in Schottland, kam zur damals aufstrebenden Airline Bahrains, der Gulf Air, und flog für die Gesellschaft Linie, unter anderem später auch auf TriStar. Allein aus diesen Jahren erzählt Presser Geschichten, die Stoff für Bücher und Filme sein könnten.

Durch einen defekten TriStar, den er für Gulf Air von London nach Düsseldorf flog (in England streikten die Techniker, in Düsseldorf konnte LTU bei der Reparatur eines der drei Triebwerke helfen, weil die Gesellschaft dieses Jet-Muster selbst nutzte), lernte er den rot-weißen Ferienflieger kennen, der ihm einen Job als Pilot anbot, denn Presser hatte eine Lizenz, die sonst keiner der Kapitäne hatte: Er durfte dieses dreistrahlige Arbeitspferd der Lüfte auch mit nur zwei intakten Triebwerken (allerdings leer) fliegen. Bei LTU blieb er bis 2004, dann ging er in den Ruhestand.

Aber die Faszination alter Flugzeuge, die hatte ihn damals schon gepackt. Und so zögerte er nicht, als ihm 1980 eine Bücker Jungmann angeboten wurde, die ein Spediteur aus Süddeutschland in Spanien gekauft und mit 30 anderen nach Deutschland geschaffte hatte. Die Flieger waren in Spanien in Lizenz gebaut und von der dortigen Luftwaffe für die Ausbildung genutzt worden. Nun lagen sie zerlegt in Containern, und Presser nahm eines mit. In langer Arbeit baute er die Maschine zusammen, und seitdem fliegt er sie, so oft er kann.

Wenn er über seinen Doppeldecker spricht, dann klingt das nach ganz viel Zuneigung und Innigkeit - in der Luft fühlt er sich regelrecht eins mit diesem robusten Flugzeug, das problemlos zu fliegen sei und auf jede Regung reagiere. Presser und seine Bücker wirken wie ein lange verheiratetes Paar: Man kennt sich, man liebt sich, man respektiert sich - und man will noch lange Jahre miteinander verbringen.

Er nennt sie übrigens die "Stradivari der Lüfte" - so wie diese Geige einen besonderen Klang habe, schätzten Piloten an der Bücker Jungmann deren unvergleichliche Flugeigenschaften. Die Bücker Jungmann war das erste Flugzeug des Flugzeugherstellers Bücker Flugzeugbau. Der Erstflug fand am 27. April 1934 statt. Konstrukteur war der Schwede Anders J. Anderson. Eingesetzt wurde es an Flugschulen und in der damals in Deutschland neu entstandenen Luftwaffe, wo es eines der Standard-Schulflugzeuge wurde. In Deutschland wurden 3000 Stück hergestellt, insgesamt (Lizenzbauten eingeschlossen) wurden etwa 5000 Maschinen produziert.

Nach der Rallye gibt es in Süd-Afrika ein Familientreffen, und Pressers Sohn (Pilot wie der Vater) will mit seiner Freundin die Bücker bei einer Rundreise in der Luft genießen - auf den Spuren von "Out of Africa" sozusagen. Danach wird der Doppeldecker zerlegt und im Container zurück nach Deutschland geschafft.

(RP)
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