Sigrid Löffler "Was die Welt umtreibt, schreit nach Literatur"

Düsseldorf · Die österreichische Kritikerin Sigrid Löffler wird morgen in einer Veranstaltung der Heinrich-Heine-Universität zu erleben sein.

 "Der Leser muss sich darauf verlassen können, dass der Kritiker unabhängig, kompetent und professionell ist", so Sigrid Löffler (74).

"Der Leser muss sich darauf verlassen können, dass der Kritiker unabhängig, kompetent und professionell ist", so Sigrid Löffler (74).

Foto: dpa

Lob hören Autoren nicht immer von ihr: Leidenschaftlich lesen heißt für Sigrid Löffler vor allem, kritisch zu sein. Warum sie globale Literatur dennoch empfiehlt, erklärt die 74-Jährige im Gespräch. Morgen ist sie zum Abschluss der öffentlichen Veranstaltungsreihe "Weltliteratur und Literaturkritik" an der Heine-Uni am Schadowplatz zu erleben.

Was liegt gerade oben auf Ihrem Bücherstapel?

Löffler Ich lese drei Romane parallel: "Tram 83" des Kongolesen Fiston Mwanza Mujila, "Der letzte Granatapfel" des Kurden Bachtyar Ali und "La Oculta" des Kolumbianers Héctor Abad.

Warum lesen Sie gerade diese Titel?

Löffler Das ist transnationale, globale oder, wie ich sie nenne, Neue Weltliteratur und das, was ich zurzeit am aufregendsten finde. Ich arbeite an einer Wiederauflage meines Buchs "Die Neue Weltliteratur" und versuche, sie so genau wie möglich zu kartographieren.

Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Löffler Mit der Neuen Weltliteratur ist nach dem Zweiten Weltkrieg gleichsam ein neuer literarischer Kontinent aufgetaucht. Das sind vor allem Romane aus den ehemaligen britischen und französischen Kolonien, aus afrikanischen Ländern, Südostasien, dem Nahen und Mittleren Osten. Diese Bücher werden ins Deutsche übersetzt, längst nicht nur von Nischen-, sondern auch von großen Publikumsverlagen. Aber ihre Bedeutung wird oft nicht gesehen.

Was ist an ihr bemerkenswert?

Löffler Diese Literatur nimmt nicht nur zahlenmäßig enorm zu. Sie ist auch stark, kraftvoll, interessant: Es geht um die wichtigsten Fragen unserer Zeit, um Migration und die Konflikte sowie Missverständnisse zwischen dem Westen und der islamischen Welt, und oft sind diese Romane in einer neuen, aufregenden Form geschrieben.

Diese Literatur trifft auf einen sich deutlich verändernden Buchmarkt. Auch in den Feuilletons spielt Mainstream eine größere Rolle, Rezensionen bekommen weniger Raum, dafür gibt es jede Menge Buch-Blogs. Manch einer spricht vom Ende der Literaturkritik. Wie sehen Sie das?

Löffler Ich weiß natürlich, dass die Literaturkritik angefochten wird. Ich halte sie aber für unabdingbar und glaube, dass sie durch Internetkritik nicht ersetzt werden kann.

Warum nicht?

Löffler Das Stichwort für mich ist Glaubwürdigkeit: Das Publikum muss sich darauf verlassen können, dass ein Kritiker unabhängig, kompetent und professionell ist. Blogs werden dagegen oft von Laien betrieben und sind in der Regel nicht überprüfbar: Man kann nicht sicher sein, ob eine Internetbesprechung von einem Verlag lanciert wurde. Immer mehr Leser wissen dagegen die Kompetenz professioneller Kritiker wieder zu schätzen, die glaubwürdig sein müssen, um ernst genommen zu werden.

Der Einwand gegen anspruchsvolle Literatur und Kritik ist aber, dass sie nicht genügend Rezipienten findet.

Löffler Zehn Prozent der deutschen Bevölkerung lesen, also etwa acht Millionen, das ist doch beachtlich. Unter ihnen gibt es auch einige, die sich für Literatur interessieren. Es wäre gut, wenn es mehr wären. Aber Literatur wird gedruckt, und Verlage können mit ihr überleben. Mehr noch: Das, was die Welt aktuell umtreibt, schreit nach Literatur. Die wichtigsten politischen Themen sind Flucht und Migration. Am besten beschreiben und erklären können sie Schriftsteller, die betroffen sind und ihren Erfahrungen eine Form geben können, die andere aufhorchen und verstehen lässt. Diese Romane brauchen Literaturkritik, die sie ans Publikum vermittelt.

Um die neue Weltliteratur ist es ja auch in Ihrer Meisterklasse an der Heinrich-Heine-Universität gegangen. Welche Titel haben Sie ausgewählt?

Löffler "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" des pakistanischen Autors Mohsin Hamid. Hier geht es um Missverständnisse und Feindseligkeiten zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Zudem wird der Roman eines deutschen Autors mit irakischen Wurzeln Thema sein: "Der letzte Ort" von Sherko Fatah, dessen Bücher alle mit dem zerrissenen und gescheiterten Staat Irak zu tun haben.

(RP)
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