Inge Kutter Vom Hippie-Mädchen zum Workaholic

Düsseldorf · Inge Kutter ist seit 2015 Chefredakteurin des Kindermagazins Zeit Leo. Nun hat die Hamburgerin ihr Erstlingswerk als Autorin veröffentlicht. In "Hippiesommer" schreibt sie über die Generation Smartphone, die zu viel arbeitet und zu wenig Zeit für sich hat. Sie liest in Düsseldorf.

Inge Kutter: Vom Hippie-Mädchen zum Workaholic
Foto: Vera Tammen

Frau Kutter, Sie erzählen in "Hippiesommer" die Geschichte von Elena, einer jungen Frau, die viel arbeitet und zu wenig Zeit hat für das Zwischenmenschliche. Steht Elena für die heutige Generation, die immer erreichbar sein will, sein muss?

Kutter Auf jeden Fall. Ihr Beruf ist das Extrem ihrer Generation: Als Unternehmensberaterin wird sie tatsächlich rund um die Uhr gefordert. Dafür wird sie gut bezahlt, dadurch kann sie das Smartphone aber nie aus der Hand legen - und will es letztendlich auch gar nicht, weil sie sich wichtig vorkommt.

Wann checken Sie selbst denn zum ersten Mal am Tag Ihre Mails?

Kutter Meistens morgens in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit. Seit dem Aufstehen ist dann schon einige Zeit vergangen, in der ich im Idealfall geschrieben habe - auf jeden Fall aber in Ruhe einen Kaffee getrunken.

Ihre Hauptfigur macht eine krasse Wandlung durch, vom Hippie-Mädchen im Blumenkleid zum Workaholic in Bluse und Hosenanzug.

Kutter Am Ende des Hippiesommers passieren viele Dinge, die Elena aus dem Gleichgewicht bringen. Vor allem stellt sie fest, dass der Lebensentwurf ihrer Eltern, den sie eigentlich gern nachgeahmt hätte, nicht zu funktionieren scheint. Ihre Eltern haben dieses Hippieske gelebt, sich nicht viele Gedanken gemacht. Elena hat den Eindruck, dass das bei ihrer Mutter geradewegs in die Frustration geführt hat, deswegen rennt sie selbst radikal in die andere Richtung. Letztendlich sucht sie nach Halt. Den findet sie in der Leistung. Das ist nicht untypisch für meine Generation.

Kommt daher auch die schlechte Beziehung Elenas zu ihren Eltern, vor allem zu ihrer Mutter?

Kutter Ja, sie hat sich ja zwischenzeitlich fast von ihnen losgesagt. Und sie fühlt sich komplett unverstanden.

Ist die verkorkste Beziehung auch der Grund, warum Elena ihre Eltern beim Vornamen nennt?

Kutter Das hat weniger mit der Verkorkstheit zu tun als mit der 68er-Generation. Elenas Eltern sind der Typus, der von seinen Kindern beim Vornamen genannt werden wollte.

Sie sind 35, nur unwesentlich älter als die Endzwanzigerin Elena. Haben Sie etwas gemein mit Ihrer Hauptfigur?

Kutter Ich komme wie sie vom Land, ich kenne Orte wie die, an die ich Elena gesetzt habe. Und ich bin durchaus jemand, der selbst Lust hat, einiges zu leisten. Wie viel Zeit und Aufmerksamkeit man in den Beruf steckt, ist eine Frage, die mich persönlich beschäftigt hat. Aus dem Nachdenken darüber ist der Roman entstanden.

Woher kommt die Leidenschaft für die Hippie-Zeit? Sie sind ein Kind der 80er.

Kutter Meine Eltern sind eher alternativ, aber keine klassischen Hippie-Eltern. Ich selbst hatte als Jugendliche ein Faible für die Zeit. Und wie bei Elena gab es auch bei mir einen ganzen Fundus alter Kleider aus den 70ern, die mich sehr fasziniert haben.

Die Kleider gehörten alle Ihrer Mutter?

Kutter Ich glaube, sie stammten aus verschiedenen Quellen. Meine Mutter hat viel genäht und dafür Stoffe gesammelt. Darunter war tatsächlich auch ein Kleid, das so aussah wie das, das Elena in ihrem Hippiesommer trägt. Es war allerdings nicht lila, sondern grün - und ich habe es gekürzt und als Oberteil getragen, weil es mir doch ein bisschen zu krass war.

Beim lilafarbenen Kleid kommt am Schluss heraus, dass es gar nicht Elenas Mutter gehörte. Von wem war es?

Kutter Das weiß man nicht so genau. Da war diese alte Truhe in dem Haus, wer weiß, wer vorher dort gewohnt hat.

Der eine oder andere Leser wird sicher enttäuscht sein.

Kutter Ich finde es eigentlich ganz schön, dass das Kleid doch nicht der Mutter gehörte. Elena hat sich ein eigenes Bild von der Jugend ihrer Mutter erschaffen - und muss dann feststellen, dass es vielleicht doch nicht so einfach war.

Wann haben Sie als Chefredakteurin von Zeit Leo eigentlich noch die Zeit gefunden, ein Buch zu schreiben?

Kutter Morgens vor der Arbeit und anfangs auch im Urlaub - bis ich festgestellt habe, dass ich meinen Urlaub durchaus auch brauche, um mich zu erholen.

Wie lange haben Sie an "Hippiesommer" gearbeitet?

Kutter Sieben Jahre. Brutto.

Das ist lang.

Kutter Ich hatte ja nicht immer Zeit und den Kopf frei. Und das literarische Schreiben funktioniert anders als das journalistische. Es gab da viel Handwerkliches, das ich mir erstmal erarbeiten musste - und vor allem musste ich meinen eigenen Ton finden.

Jetzt gehen Sie auch noch auf Lese-Tour, heute in Düsseldorf. Wie passen denn die Termine in Ihren Kalender?

Kutter Die Lesungen schiebe ich immer zwischendurch ein, das geht schon.

Nebenbei sitzen Sie auch schon an ihrem nächsten Buch.

Kutter Daran arbeite ich momentan morgens. Aber ich muss gestehen, dass ich noch nach Möglichkeiten suche, wie ich Schreiben, Beruf und Privatleben besser vereinen kann.

Geht es denn weiter mit Elena?

Kutter Nein. Es geht um ganz neue Figuren. Das Buch wird ein Gesellschaftsroman werden, wieder eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Und es geht um Liebe. Viel mehr kann ich noch nicht sagen, das Ganze fügt sich gerade erst in meinem Kopf zusammen.

Könnten Sie sich vorstellen, noch mal über Elena zu schreiben? Es sind ja doch einige Fragen offen geblieben, zum Beispiel, ob sich Elena mit ihrer Schulfreundin Mone versöhnt und was mit ihrem Ex-Freund Christoph passiert.

Kutter Die habe ich bewusst offen gelassen. Ich wollte in dem Roman auf einen bestimmten Abschnitt blicken, in dem viel passiert, und dann kann man sich als Leser selbst überlegen, was man Elena wünscht.

Was wünschen Sie Elena für die Zukunft?

Kutter Dass sie sich mit diesen Menschen ausspricht und wieder mehr Persönliches zulässt. Ich glaube, sie ist auf dem richtigen Weg.

NICOLE SCHARFETTER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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