Düsseldorf Und hinter 1000 Masken keine Welt

Düsseldorf · Womöglich ist Erwachsenwerden im Zeitalter der sozialen Netzwerke noch komplizierter als in der alten analogen Welt. Davon erzählt das Junge Schauspielhaus in "Natives" - und verliert sich selbst in den Reizen der digitalen Möglichkeiten.

Sie sitzt in der Kunstwelt eines Einkaufszentrums auf einer pistaziengrünen Bank. Sie nennt das "realen Shopping-Kontext", denn sie ist ein Digital Native, ein Kind des Internet-Zeitalters. Neben ihr sitzen andere Mädchen aus der Schule. Freundinnen. Konkurrentinnen. Die Teenager sind online. Sie sprechen nicht miteinander, sie schreiben Kurznachrichten. Belanglose Botschaften, könnte man meinen. Dabei muss jedes Ausrufezeichen abgewogen, jeder Smiley wohl bedacht sein. Es geht ums Image, den richtigen Style, der natürlich auch die Sprache diktiert. Bloß keine Blöße geben, Unsicherheit zeigen, ungefilterte Gefühle preisgeben. Das wäre tödlich für die Existenz in der Gruppe - die reale und die virtuelle.

Der Brite Glenn Waldron ist Modejournalist und Dramatiker, er bewegt sich in der Glitzerwelt des perfekten Scheins und schreibt aus dieser Hyperrealität für das Theater. Und nun erzählt er die Geschichte von drei Teenagern auf drei Kontinenten, die in vollkommen unterschiedlichen Wirklichkeiten aufwachsen und die doch etwas eint: Sie bewegen sich in zwei Welten, der physischen, in der sie essen, sich verlieben, in die angesagte Markenjeans passen müssen. Und in der virtuellen, in der es vor allem um eines geht: Selbstdarstellung.

Das ist besonders schwierig, wenn man 14 ist und gerade auf der Suche danach, wer man eigentlich sein will. Waldron erzählt also von drei Menschen, die gerade maximale Verunsicherung erleben und durch größtmögliche Lässigkeit zu erreichen versuchen, dass das niemand merkt. Er wählt einen letztlich beliebigen Stichtag, um in das Leben seiner Figuren zu blenden: Es ist ihr 14. Geburtstag. Und plötzlich spitzen sich die Dinge zu. Das Mädchen aus dem Einkaufszentrum kann Schönheitsterror und Zickenkrieg der Freundinnen nicht mehr ertragen und dreht ein bloßstellendes Video von sich selbst. Irgendwo anders in der globalisierten Welt entdeckt ein Junge, dass er womöglich in ein Mädchen aus seiner Clique verliebt ist, doch als es zum Kuss kommt, gerät er in den falschen Film, macht seine Wirklichkeit zu einem der Pornostreifen, die er sonst konsumiert. Und der Dritte erkennt in einem Internet-Video, das den fanatischen Mord an einem Jungen zeigt, seinen Freund und schneidet daraufhin eine anklagende Videobotschaft zusammen. Senden oder nicht senden? Auf diese Frage läuft alles hinaus. Natürlich ist sie für Digital Natives eine, die über das Sein entscheidet.

Waldron schneidet die arg plakativen Geschichten geschickt ineinander, drückt das Tempo auf Video-Clip-Niveau. Regisseur Jan Friedrich, der selbst als Autor arbeitet, steigert die Komplexität noch, indem er seine Darsteller mit Kamera ausstattet, sie mal real, mal im Live-Videobild erscheinen lässt. Dazu gibt es Toneinspielungen und Maskentheater, die Darsteller wechseln rasant durch Rollen und Latex-Klischees. Das spiegelt schön die reizüberflutete Realität der Digital Natives - verliert sich aber selbst darin. Denn die Schauspieler kommen kaum zum Spielen, sie sind ja ständig mit ihren Selfie-Auftritten beschäftigt - nicht die Zuschauer sind ihre Adressaten, sondern die Kamera. Und sie zeigen auch nicht, was ihre Figuren erleben, sondern erzählen nur davon. Es wird geredet, geredet, geredet; behauptet, nicht durchlebt. So bleibt die Inszenierung bei allem technischen Aufwand höchst abstrakt, leblos, anstrengend für Zuschauer wie Darsteller. Maëlle Giovanett, Paul Jumin Hoffmann und Jonathan Gyles geben zwar alles, sie kämpfen sich durch die Textflächen, bis der Schweiß rinnt, doch können sie nur die Köpfe der Zuschauer erreichen.

Man kann das zur Botschaft dieses Stückes erklären: Wo Menschen sich einzig für das digitale Spiegelbild inszenieren, stirbt das Leben. Doch das ist analog gedacht. Theater kann mehr, als den Digital Natives alles Leben auszusaugen. Als Zombies kennen wir sie schon.

(dok)
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